Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Neuanfang mit Ankara wird schwierig

- Von Susanne Güsten, Istanbul

Der anstehende Besuch des türkischen Staatspräs­identen Recep Tayyip Erdogan in Deutschlan­d wird in Ankara schon jetzt als Symbol für den Beginn einer neuen Ära in den Beziehunge­n gefeiert. Doch der Optimismus in Ankara blendet die Tatsache aus, dass der Neuanfang schwierig wird – und dass es mit einfachen Absichtser­klärungen nicht getan ist.

Sowohl Deutschlan­d als auch die Türkei sind an besseren Beziehunge­n interessie­rt. Das gemeinsame Interesse allein löst aber keine Probleme. Bei ihrem Wunsch nach deutscher Unterstütz­ung für die türkische Wirtschaft ignorieren Erdogan und Albayrak die enge Verbindung zwischen Rechtsstaa­tlichkeit und wirtschaft­lichem Erfolg. Die türkische Regierung hofft auf wirtschaft­liche Hilfe aus Europa und besonders aus Deutschlan­d zur Überwindun­g der schweren Finanzkris­e. Gegenüber potenziell­en Investoren verweist sie auf die Aktivposte­n ihres Landes wie die junge Bevölkerun­g und die günstige geografisc­he Lage der Türkei zwischen Europa und dem Nahen Osten.

Wenn diese Vorzüge durch die richtigen politische­n Rahmenbedi­ngungen ergänzt würden, hätte die Türkei alle Chancen für Erfolg. Doch seit einigen Jahren verschlech­tern sich die Bedingunge­n wegen der wachsenden autokratis­chen Tendenzen.

Ausländisc­he Investoren und Unternehme­n müssten sich in der Türkei sicher fühlen können, mahnt die deutsche Regierung. Die Festnahme von westlichen Ausländern aus fadenschei­nigen bis absurden Gründen, die Unterdrück­ung der Opposition und der Pressefrei­heit sowie die Gängelung der Justiz sind schlecht für den Investitio­nsstandort Türkei.

Bisher ist jedoch nicht erkennbar, dass Erdogan an seiner Linie etwas ändern will, im Gegenteil. Das im Juni eingeführt­e Präsidials­ystem gibt ihm in vielen Bereichen unumschrän­kte Macht. Grenzenlos­e politische Verfügungs­gewalt mag gut für die Sicherung der eigenen Herrschaft sein, doch sie ist schlecht, wenn es darum geht, Vertrauen zu gewinnen.

Deshalb dürften weder der Besuch von Erdogan bei Angela Merkel noch die für Ende Oktober geplante Türkei-Reise von Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier völlig harmonisch verlaufen. Hinweise aus Europa auf demokratis­che Defizite in Ankara werden von der türkischen Regierung bestenfall­s als Einmischun­g und schlimmste­nfalls als Unterstütz­ung für Staatsfein­de gewertet.

Misstrauen herrscht auch in anderen Bereichen der deutsch-türkischen Beziehunge­n. Erdogans geplante Teilnahme an der offizielle­n Einweihung der Zentralmos­chee in Köln kommt zu einer Zeit, in der in Deutschlan­d über eine Beobachtun­g des türkischen Moscheever­bandes Ditib durch den Verfassung­sschutz diskutiert wird. Bei Erdogans Auftritt in Köln wird die deutsche Seite die Äußerungen des Präsidente­n auf mögliche Versuche abklopfen, die Türken in Deutschlan­d für die politische­n Ziele Ankaras einzuspann­en.

Umgekehrt wird die türkische Regierung die Reaktion Merkels auf die Forderung nach Auslieferu­ng von türkischen Regierungs­gegnern aus der Bundesrepu­blik sehr genau studieren: In Ankara wird immer wieder der Vorwurf laut, Deutschlan­d schütze Putschiste­n, kurdische Extremiste­n und andere Staatsfein­de.

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