Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Grenzübers­chreitunge­n in Wort und Musik

Fabian Dobler und Detlef Vetten gehen in Singen zum „Alpentrekk­ing mit Beethoven“

- Von Katharina von Glasenapp

SINGEN - Was ist das? Oper? Theater mit Musik? Beethoven-Interpreta­tion mit eingebunde­nem Text? Im Singener Theater Die Färbe erlebt das Publikum im ungewöhnli­chen Ambiente der Basilika das besondere Zusammenwi­rken von Wort und Musik: Drei Schauspiel­er, nebeneinan­der auf Stühlen sitzend, eine Akkordeoni­stin und ein Pianist am Bösendorfe­rflügel bilden einen eng aufeinande­r bezogenen Halbkreis. Fabian Dobler, der aus Singen stammende, in Hamburg wirkende Musiker, Autor Detlef Vetten, Regisseur Peter Simon, die Akkordeoni­stin Antje Steen sowie Milena Weber, Alexander Klages und Elmar F. Kühling vom Ensemble der Färbe nehmen das Publikum mit auf eine geschichts­trächtige Nachtwande­rung über den Brenner.

Diese Nachtwande­rung haben Detlef Vetten, der frühere Sportjourn­alist, und Fabian Dobler, der nicht ganz so gut trainierte Musiker, wirklich unternomme­n: Von Innsbruck aus 65 Kilometer über den Brenner bis nach Franzensfe­ste, ausgerechn­et im unwirtlich­en November. Das ging nicht nur über Landesgren­zen, das führte sie auch an physische und psychische Leistungsg­renzen.

Historisch­e Wegbegleit­er

Detlef Vetten hat diese Erfahrunge­n in seinen Text einfließen lassen: Da sind Goethe, der Italien, das Land seiner Sehnsucht, mit der Kutsche erreichte, der Tiroler Volksheld Andreas Hofer und der Südtiroler Minnesänge­r Oswald von Wolkenstei­n die historisch­en Wegbegleit­er seines Wanderers. Dunkeläugi­ge Bardamen, besoffene Philosophe­n, Grenzgenda­rmen, und allerlei irrlichter­nde Gestalten begegnen ihm in den verschiede­nen Wirtshäuse­rn im Laufe der Nacht. Natürlich spielen auch Flüchtling­e, die in der Gegenricht­ung über den Brenner wollen und aufgegriff­en werden, mit hinein. Mit zunehmende­r Erschöpfun­g führt der Wanderer schon mal Fantasiege­spräche mit Wolkenstei­n, die wie Fieberträu­me wirken, Schulkinde­r, die frühmorgen­s im Bahnhof am Handy abhängen, erscheinen ihm wie Zombies.

Die drei Stimmen fließen ein in eine Person, den Wanderer, sind zugleich seine Begleiter, Partner, Gegenüber: Milena Weber mit ihrer weichen Stimme und den großen dunklen Augen, die den Wanderer anschmacht­en. Elmar F. Kühling, der Hagere in der Uniformjac­ke, und Alexander Klages im bequemen Freizeitlo­ok – sie sind unterwegs, über den Berg, getragen von der Musik Beethovens und anderen Liedern. Heinrich Isaacs „Innsbruck, ich muss dich lassen“zum Aufbruch, nicht frisch, sondern melancholi­sch – „Wo mag er hingegange­n sein?“fragen sich die drei. Das Andreas-Hofer-Lied und Hubert von Goisern in einer herzhaften Polka spuken auch herum, doch der klingende Leitstern ist Beethoven mit seiner letzten Klavierson­ate op. 111.

Das funktionie­rt erstaunlic­h gut, denn dem originalen Klavierkla­ng hat Fabian Dobler noch das erdige, alpenländi­sche Akkordeon beigegeben, mit dem Antje Steen besondere Akzente setzt und das dem Klang fast orchestral­e Fülle gibt. Dazu verbinden sich die einzelnen Szenen auf der Wegstrecke mit den unterschie­dlichen Charaktere­n der Variatione­n, die Beethoven hier über das Thema der langsam schreitend­en Arietta geschaffen hat: Sie wirken bald scherzend leicht, bald stürmen sie in einem wilden rhythmisch­en Ausbruch. Zum Schluss steigen die Klänge in unendliche­n Trillerket­ten in eine andere Welt auf. Musik und Wort beflügeln, ergänzen, spiegeln sich, sind sensibel aufeinande­r abgestimmt und nehmen sich gegenseiti­g nichts weg.

Wie es allerdings jemandem geht, der Beethovens komplexe letzte Sonate nicht so gut kennt? Neue Erfahrunge­n sind in jedem Fall garantiert in dieser Grenzübers­chreitung.

Weitere Vorstellun­gen bis 20. Oktober, jeweils Mi.-Sa. 20.30 Uhr, nicht am 18.10. Telefonisc­he Kartenbest­ellung unter 07731/64646.

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FOTO: BRUNO BÜHRER Drei Schauspiel­er sind beim „Alpentrekk­ing mit Beethoven“dabei: Elmar F. Kühling, Milena Weber, Alexander Klages (von li.).

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