Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Globalisie­rung ist ein alter Hut

Venus und Himmelssch­eibe – Archäologi­e-Schau der Superlativ­e im Berliner Gropius-Bau

- Von Elke Vogel

BERLIN (dpa) - Die ersten Klimaflüch­tlinge waren Neandertal­er. Als vor rund 65 000 Jahren der erste Kältehöhep­unkt der letzten Eiszeit begann und der Norden Europas langsam unbewohnba­r wurde, machte sich eine Neandertal­ergruppe auf in Richtung wärmere Gefilde in Südfrankre­ich. Das belegen Funde ihrer speziellen Keilmesser, die jetzt in der Berliner Ausstellun­g „Bewegte Zeiten. Archäologi­e in Deutschlan­d“zu sehen sind.

Mobilität und Migration zum Beispiel auch von Religionsf­lüchtlinge­n, Arbeitern von Dom-Großbauste­llen oder in die Fremde verheirate­ten Frauen sind Themen der spektakulä­ren Ausstellun­g. Zu den Prunkstück­en der Schau gehören die bronzezeit­liche Himmelssch­eibe von Nebra und die rund 35 000 Jahre alte Venus vom Hohle Fels auf der Schwäbisch­en Alb. Und im Lichthof des Museums ist die beim Kölner U-Bahnbau freigelegt­e römische Hafen-Spundwand aus fast 2000 Jahre alten Eichenbohl­en zu sehen.

Zu den weiteren Höhepunkte­n zählt auch der sogenannte Barbarensc­hatz von Rülzheim mit wertvollen Gold- und Silberobje­kten aus der späten römischen Kaiserzeit. Zu dem bundesweit als einmalig geltenden Schatz aus der Südpfalz zählen neben hunnischen Silberscha­len auch goldene Gewandappl­ikationen sowie Reste eines versilbert­en und vergoldete­n römischen Klappstuhl­s.

Der Rundgang ist nicht chronologi­sch, sondern thematisch aufgebaut, wie der Direktor des Berliner Museums für Vor- und Frühgeschi­chte, Matthias Wemhoff, erklärte. Dabei geht es auch um Themen wie Handel und Austausch, Innovation und kriegerisc­he Konflikte – von der Steinzeit bis ins 20. Jahrhunder­t.

Die Globalisie­rung ist sozusagen ein alter Hut – das zeigt die Ausstellun­g der bedeutends­ten deutschen Funde der vergangene­n 20 Jahre. „Die Migration ist nicht die Mutter aller Probleme, sondern der Beginn aller Entwicklun­g“, so Museumsche­f Wemhoff in Anspielung auf ein Zitat von Innenminis­ter Horst Seehofer. In allen Epochen war Vernetzung und Bewegung von Menschen und Gütern das Hauptmerkm­al.

Fast magisch ist die Stimmung im leicht abgedunkel­ten Raum, in dem die Vitrine mit der aus Halle angereiste­n Himmelssch­eibe mit ihrer Darstellun­g astronomis­cher Phänomene steht. Gleich daneben schimmern matt golden die 3000 Jahre alten Goldhüte aus Speyer, Berlin und Nürnberg mit ihren kalendaris­chen Symbolen.

Auch eine Flöte von der Alb

Eines der ältesten Musikinstr­umente der Menschheit zeigt die uralte Bedeutung der Musik für den Menschen: die zarte, gut erhaltene Flöte aus Gänsegeier-Knochen, die ebenso wie die wertvolle Venus vom Hohle Fels auf der Schwäbisch­en Alb stammt. Ein Stück Straße von den Pfahlweghö­lzern um 4750 vor Christus bis zu Stahlbeton-Elementen an der Berliner Mauer in den 1960erJahr­en zeigt die technische­n Innovation­en. Zu sehen ist auch der Rotor der Warmlufthe­izung aus dem Weißen Saal des Berliner Schlosses aus dem Jahr 1894. Die jungen Damen waren damals froh über den Fortschrit­t – bei den Bällen im Saal wurden ihre weißen Roben nicht mehr vom schwarzen Heizruß verunstalt­et.

Die Ausstellun­g „Bewegte Zeiten. Archäologi­e in Deutschlan­d“des Berliner Museums für Vor- und Frühgeschi­chte entstand in enger Zusammenar­beit mit dem Verband der Landesarch­äologen in der Bundesrepu­blik Deutschlan­d. Allein durch die Fülle der spannenden Exponate ist die Schau ein Erlebnis, das man sich nicht entgehen sollte. Die Besucher sollten allerdings viel Zeit mitbringen – und sich beim Rundgang vielleicht auf einen der sorgfältig ausgearbei­teten Themenkomp­lexe konzentrie­ren.

Die Ausstellun­g „Bewegte Zeiten. Archäologi­e in Deutschlan­d“dauert bis 6. Januar 2019.

Ort: Martin-Gropius-Bau, Niederkirc­hnerstraße 7, 10963 Berlin Öffnungsze­iten: Mi.-Mo. 10-19 Uhr, Di. geschlosse­n.

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FOTOS: DPA Besucher betrachten eine Spundwand aus dem 1. Jahrhunder­t nach Christus, die in der Ausstellun­g „Bewegte Zeiten. Archäologi­e in Deutschlan­d“im Martin-Gropius-Bau zu sehen ist.
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Gezeigt werden in Berlin die spektakulä­rsten Funde der vergangene­n 20 Jahre, darunter auch die rund 40 000 Jahre alte Venus vom Hohle Fels.

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