Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
600 Menschen demonstrieren für Radweg
Erste Protestaktion für Radweg zwischen Baienfurt und Bergatreute – Politiker bleiben weg
BERGATREUTE/BAIENFURT - Über 600 Fahrradfahrer haben am Freitag für den Bau eines Radweges zwischen Baienfurt und Bergatreute demonstriert. Unter Polizeischutz radelten die Demonstranten erst von Baienfurt nach Bergatreute und dann wieder zurück – auf der vielbefahrenen Landesstraße 314.
Vorne mit dabei waren Günter A. Binder und Helmfried Schäfer, die Bürgermeister der Gemeinden Baienfurt und Bergatreute. Diese hatten zusammen mit dem Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) zu der Demonstration aufgerufen. Nach Abschluss der ungewöhnlichen Fahrradtour versammelten sich die Radler auf dem Marktplatz in Baienfurt, unter ihnen einige junge Eltern mit ihren Kindern. Auch Baindts Bürgermeister Elmar Buemann war gekommen. Binder und Schäfer zeigten sich bei ihren Ansprachen „überwältigt“von der hohen Zahl an Teilnehmern. Mit ungefähr 100 hatten sie gerechnet. Gemeinsam mit Martin Hulin vom ADFC forderten sie mit Nachdruck von der Landesregierung den Bau eines Radweges entlang der L 314 von Baienfurt nach Bergatreute: „Radweg L314 jetzt!“. Die Forderung verhallte jedoch am Freitag vorerst ungehört. Denn von den eingeladenen Politikern war niemand gekommen.
Polizei-Eskorte schützt die Demonstranten
Es ist eine friedliche und vor allem ruhige Demonstration. Hin und wieder ist das „Klingeling“einer Fahrradklingel zu hören. Die Demonstranten unterhalten sich und sind gut gelaunt. Auch die paar Regentropfen, die vom Himmel fallen, scheinen sie nicht zu stören. In einer langen Kolonne fahren sie die Landesstraße 314 hinunter von Bergatreute nach Baienfurt. Dass sie so entspannt fahren können, liegt an der Polizei-Eskorte. Polizeiautos und -motorräder begleiten sie, auf der gesamten Strecke ist die Geschwindigkeit auf 70 Stundenkilometer reduziert und das Überholen verboten.
An einem normalen Tag sieht das für Radfahrer auf dieser Landesstraße anders aus, wie Baienfurts Bürgermeister Binder anschaulich schildert: „LKW und Autos rasen an einem vorbei, man bekommt fast Tuchfühlung mit dem Blech.“Die
L 314 nennt Binder ein „hochgefährliches Pflaster“und verweist auf die „dramatischen Unfälle“, die es auf ihr schon gegeben habe. So zuletzt im Juli 2017, als ein 57-jähriger Radfahrer von einem entgegenkommenden Auto erfasst und getötet wurde. Der Autofahrer wurde im April vom Amtsgericht Ravensburg wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung zu sieben Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt.
Etwa 5000 Fahrzeuge sind täglich auf der L 314 unterwegs, erklärt Martin Hulin vom ADFC, darunter viele Lastwagen. Hulin ärgert es besonders, dass das Land Baden-Württemberg von jedem Landkreis die Erstellung eines Radwegekonzepts zwar einfordert – aber bei der Planung neuer Radwege keine Rücksicht darauf nimmt. Denn laut Verkehrsminister Winfried Hermann ist der Bau eines Radweges entlang der L 314 auf absehbare Zeit nicht geplant. Und das obwohl die Strecke BaienfurtBergatreute auf der Prioritätenliste des Landkreises Ravensburg auf Platz 2 stehe, so Bergatreutes Bürgermeister Helmfried Schäfer. Er kritisiert die Radewege-Politik des Landes, die aus seiner Sicht zu einseitig auf Schnellradwege setze. Schäfer fordert ein Umdenken von der Landesregierung. „Nach 15 Jahren bin ich es leid, mich vertrösten zu lassen“, sagt er und ruft kämpferisch: „Liebe Landesregierung, ich verspreche euch: Wenn ihr uns nicht entgegenkommt, werden wir zu euch kommen!“Um im nächsten Satz hinzuzufügen: „Aber es ist ja niemand da.“
Dass niemand der eingeladenen Abgeordneten und Behördenvertreter gekommen war, unterstreicht auch sein Kollege Günter A. Binder. Namentlich zählt Binder alle eingeladenen Politiker von den Grünen, von CDU, SPD und FDP auf: der Verkehrsminister des Landes, Bundesund Landtagsabgeordnete, Landrat, Regierungspräsident und Erste Landesbeamtin. Nach jedem Namen der Zusatz „hat sich entschuldigt“. Die versammelte Menge reagiert auf die immer länger werdende Liste der Absagen mit Pfiffen. Am Schluss der Versammlung betont Binder, dass es nicht bei der einen Aktion bleiben werde, um politisch etwas zu bewirken. Die Demo sei erst der Anfang, denn: „Steter Tropfen höhlt den Stein.“