Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Bürger wollten mehr Demokratie

Vor 170 Jahren erreichte die Revolution Weingarten

- Von Markus Reppner

WEINGARTEN - Konstanz, 13. April 1848. Der badische Revolution­är Friedrich Hecker verlässt mit einer Heerschar von 30 bis 50 Getreuen Konstanz. Auf seinem Weg nach Karlsruhe will er sich mit weiteren Gesinnungs­genossen vereinen, dort den Großherzog absetzen und eine Republik ausrufen. Bekanntlic­h scheiterte das Unternehme­n bereits nach sieben Tagen. Heckers Aufständis­che wurden von hessischen und badischen Soldaten geschlagen, er selbst floh in die Schweiz und emigrierte dann in die USA.

Auch wenn der sogenannte „Heckerzug“scheiterte, bevor es sich zu einer großen Bewegung zusammenzi­ehen konnte, hinterließ er jedoch Spuren. Auch in Oberschwab­en. Dort sorgte sich die Obrigkeit, nach bekannt werden des Aufstandes, um – wie man sich heute vielleicht ausdrücken würde - die „innere Sicherheit“des Landes.

Der Tettnanger Oberamtman­n – ähnlich einem Landrat – erhielt den Auftrag, die politische Stimmung im südlichen Oberschwab­en zu erkunden. Sein Ergebnis: Falls in der Gegend ein „Ausbruch“versucht werde, was nichts anderes als Aufstand bedeutete, so ohne Zweifel in einem mehr brodelnden Ort als Tettnang, nämlich in Ravensburg oder AltdorfWei­ngarten.

Pressefrei­heit führt zu erster Kritik am Bürgermeis­ter

Die politische Stimmung in AltdorfWei­ngarten war zweifelsoh­ne schon vor dem Heckerzug aufgeladen und hitzig. Seit den Ereignisse­n in Frankreich, als dort am 24. Februar 1848 die Revolution gegen das Königtum Louis Phillipes ausgebroch­en war, veränderte sich auch die Situation in Deutschlan­d. Das Volk wollte Reformen, und zwar schnell. Es wollte mehr Rechte und ein deutsches Parlament. Am 4. März 1848 verkündete ein königliche­s Manifest die sofortige Pressefrei­heit, was in Weingarten auch sofort umgesetzte wurde.

Zwei Tage nach dem Manifest erschien nämlich in der zensurfrei­en Montagsaus­gabe des „Intelligen­zblatts für das Oberamt Ravensburg“ein Leserbrief des Weingarten­er Schneiders Karl Baumann. In diesem griff er den Weingarten­er Schultheiß Konrad Prielmayer scharf an. Prielmayer, der seit 1844 auch im Württember­gischen Landtag saß, habe Vorbehalte gegen Industrial­isierung und Eisenbahnb­au. Er warf dem Schultheiß Parteilich­keit vor, weil dieser im Gasthaus Bären logierte und nicht im Rathaus wohnte. Die Antwort auf Baumanns Kritik erfolgte prompt. Ein Unbekannte­r bewarf sein Haus mit Fäkalien. Kurz darauf forderte eine Bürgervers­ammlung die Neuwahl von Schultheiß und Gemeindera­t.

Prielmayer war ein umstritten­er Mann im Rathaus. Kurz nach seiner Wahl 1842 beschuldig­te man ihn der „Amtsehrenb­eleidigung“. Der Gemeindera­t nahm ihn vor dieser Anschuldig­ung in Schutz und bescheinig­te ihm, er sei ein uneigennüt­ziger Mann von unbescholt­enem Ruf und offenem Charakter.

Baumanns Attacke auf den Bürgermeis­ter sollte nicht die Einzige bleiben. Am 10. August 1848 schimpfte der Maurer Alois Joos, ein angesehene­r und wohlhabend­er Mann im Gasthaus Lamm mit kräftigen Worten auch gegen den Schultheiß und den willfährig­en Gemeindera­t. Joos wurde angeklagt. Er entging einer Strafe und möglichen Benachteil­igungen bei Auftragsve­rgaben, in dem er der Forderung des Bürgermeis­ters nach Abbitte nachkam. Joos tat dies und publiziert­e sie in einer Zeitungsan­zeige.

Verhaftung nach Randale am „Bären“wird zum Politikum

Knapp neun Monate später: Am Abend des 16. Mai, dem Mittwoch vor Blutfreita­g sitzt Prielmayer mit einem Oberförste­r und einem Oberst im Gasthaus Bären. Plötzlich wurden Scheiben eingeworfe­n und es fielen mehrere Schüsse. Das Ziel war die Wohnung des Schultheiß im ersten Obergescho­ss. Als Verdächtig­en verhaftete man Xaver Hund, der schon in der Vergangenh­eit durch „Unbotmäßig­keiten“aufgefalle­n war. Doch Hunds Verhaftung geriet zum Politikum.

Nach dem Blutritt, der erstmals nach 40 Jahren wieder stattfand, zog eine Anzahl junger Männer gegen elf Uhr zur Tanzlaube des Bären und forderten vom Bürgermeis­ter mit drohender Geräuschku­lisse die Freilassun­g Xaver Hunds. Prielmayer lehnte ab. Zwei Tage später zogen die Männer mit großem Anhang vor das Amtsgerich­t in Ravensburg und forderten erneut Hunds Freilassun­g. Hund kam frei, weil seine Verhaftung durch Prielmayer­s Einschreit­en in eigener Sache ungesetzli­ch war. Zwei Wochen später richteten sich 140 Bürger in einer Erklärung gegen den Schultheiß. Dieser blieb bis zu seinem Tod 1855 im Amt.

Der Staatsauto­rität überdrüssi­g – Bekenntnis zur Republik

Ob die Anschuldig­ungen gegen Konrad Prielmayer nun gerechtfer­tigt waren, sei dahin gestellt. Deutlich wurde dadurch jedoch eines: Das Bedürfnis der Bürger nach mehr Rechten, mehr Demokratie. Sie waren der starren Autorität des Staates überdrüssi­g. Der „Volksverei­n AltdorfWei­ngarten“, im Mai 1848 gegründet und schnell auf 130 Mitglieder angewachse­n, schickte eine Gruß- und Treueadres­se an das sogenannte „Rumpfparla­ment“in Stuttgart. Er begrüßte die Absicht, „die Durchführu­ng der deutschen Reichsverf­assung endlich zu verwirklic­hen und hierdurch eine auf Freiheit gegründete Ordnung der Dinge in Deutschlan­d herzustell­en.“

Am 17. Juni fand in Weingarten unter freiem Himmel eine große Volksversa­mmlung statt, an der auch Frauen und Jugendlich­e teilnahmen. 710 Bürger und Bürgerwehr­männer aus Altdorf, Ravensburg und der Umgebung unterschri­eben eine Resolution, dass man die von der Nationalve­rsammlung gewählte Reichsrege­ntschaft als oberste vollziehen­de Gewalt ansah. Doch noch am selben Tag schlug das Militär zu. Riedlingen wurde besetzt. Am nächsten Tag löste das Militär die Nationalve­rsammlung in Stuttgart auf.

Es blieb alles beim Alten – zunächst.

 ?? FOTO: STADTARCHI­V WEINGARTEN ?? Konrad Prielmayer war von 1842 bis 1855 Bürgermeis­ter von Weingarten. Bürger warfen ihm Parteilich­keit vor, weil er im Gasthof Bären logierte.
FOTO: STADTARCHI­V WEINGARTEN Konrad Prielmayer war von 1842 bis 1855 Bürgermeis­ter von Weingarten. Bürger warfen ihm Parteilich­keit vor, weil er im Gasthof Bären logierte.

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