Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Genossenschaft gibt Städten Mitschuld an Wohnungsnot
Bei Grundstücksverkäufen seien einzig hohe Renditen das Ziel – Gemeindetag wehrt sich
RAVENSBURG - Bundesweit fehlen mehr als eine Million Wohnungen. Vor allem Familien in Ballungszentren, aber auch mehr und mehr im ländlichen Raum, haben große Probleme, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Die Landesbaugenossenschaft Württemberg wirft den Städten und Gemeinden im Südwesten nun vor, zu einem Teil selbst an der Wohnungsnot in vielen Regionen Baden-Württembergs schuld zu sein. „Kommunen dürfen ihren Baugrund nicht immer an den Höchstbietenden verkaufen“, sagt Vorstand Josef Vogel der „Schwäbischen Zeitung“. „Die Rendite darf nicht im Vordergrund stehen.“Würden bei Verkäufen vor allem Genossenschaften berücksichtigt, die Wohnraum als „soziales Gut“betrachteten, ließe sich die Lage entschärfen. „Wir können aber nicht mit den Investoren mithalten, die aufgrund ihrer hoch angesetzten Rendite jeden Preis zahlen“, erklärt Vogel.
Der Mieterbund Baden-Württemberg unterstützt Vogel in dessen Appell. Zwar habe ein Umdenken eingesetzt, aber „viele Kommunen arbeiten weiter nach dem Höchstpreisprinzip, was bezahlbaren Wohnraum unmöglich macht“, sagt Mieterbund-Chef Rolf Gaßmann. Ein Ausweg sei die Konzeptvergabe, bei der die Verwaltungen Vorgaben machen und danach den Zuschlag verteilen. Dagegen wehrten sich aber die freien Immobilienunternehmen. „Die wollen bauen und die Wohnungen zu Höchstpreisen verkaufen“, erläutert Gaßmann.
Der Gemeindetag Baden-Württemberg weist den Vorwurf der Landesbaugenossenschaft zurück. „Die Kommunen verkaufen ihre Grundstücke regelmäßig unter Verkehrswert“, sagt Steffen Jäger, erster Beigeordneter des Gemeindetags. „Und auch wenn die Kommunen alle ihre Grundstücke an Genossenschaften verschenken würden“, ändere das kaum etwas an der Wohnungsnot. Das Problem sei, dass zu wenig baureife Flächen am Markt seien und die rechtlichen Mittel fehlten, neue Flächen auszuweisen. „Die Planungshoheit der Kommunen ist zu einem stumpfen Schwert geworden, weil übergeordnete Vorgaben es unmöglich machen, Baugebiete zu erschließen“, sagt Jäger. Hinzu kämen Bürgerbegehren gegen neue Wohngebiete, „bei denen vor allem die abstimmen, die schon dort wohnen, und nicht die, die dahin ziehen wollen“.
Im Südwesten sind laut einer aktuellen Studie des baden-württembergischen Wirtschaftsministeriums allein zwischen 2011 und 2015 rund 88 000 Wohnungen zu wenig gebaut worden. Hauptgrund waren nach Angaben von Sprecher Arndt Oschmann falsche Prognosen. „Anstatt des vorhergesagten Bevölkerungsrückgangs gab es einen Anstieg.“