Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Wir müssen in Afrika mit dabei sein“

Entwicklun­gsminister Gerd Müller über die Chancen des Kontinents – und darüber, was Mangosaft damit zu tun hat

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FRIEDRICHS­HAFEN - In den nächsten zehn Jahren wird in Afrika so viel in Infrastruk­tur investiert wie in den vergangene­n hundert Jahren in der EU. Das sagt Bundesentw­icklungsmi­nister Gerd Müller – und wirbt bei deutschen Firmen für Investitio­nen auf dem Nachbarkon­tinent. „Entscheide­nd ist, den Handel fair zu gestalten“, sagt der CSU-Politiker. Im Gespräch mit Hendrik Groth, Claudia Kling und Ulrich Mendelin erläutert er, wie er das erreichen will.

Herr Müller, ohne gute Regierung keine wirtschaft­liche Entwicklun­g – das gilt auch für Afrika. Wie können Sie auf gute Regierungs­führung hinwirken, ohne mit erhobenem Zeigefinge­r daherzukom­men?

Das ist in der Tat eine Herausford­erung. Klar ist: Afrika muss selbst mehr leisten. Mit guter Regierungs­führung, Korruption­sbekämpfun­g, dem Aufbau von Steuerbehö­rden und besseren Rahmenbedi­ngungen für Investitio­nen. Dazu haben sich die afrikanisc­hen Regierunge­n mit einer eigenen Agenda bekannt und darauf bauen wir auf. Wir konzentrie­ren unsere Zusammenar­beit auf Reformländ­er. In Zukunft werden wir nicht mit der Gießkanne über ganz Afrika gehen. Vielmehr bieten wir reformorie­ntierten Ländern wie Ghana, Tunesien und der Elfenbeink­üste eine verstärkte Unterstütz­ung an. Wer aber nicht zu guter Regierungs­führung bereit ist, der wird künftig mit weniger Unterstütz­ung rechnen müssen. Genau das ist der Kern unseres „Marshallpl­ans mit Afrika“.

Andere Länder wie Niger oder Tschad stehen beim Thema gute Regierungs­führung eher schlecht da, sind aber als Transitlän­der von Migranten für Deutschlan­d von Bedeutung. Wie gehen sie mit solchen Ländern um?

Kein Euro landet auf dem Konto korrupter Regierunge­n. Aber wir schließen auch in keinem Land eine notleidend­e Bevölkerun­g von der Zusammenar­beit aus. Grundlegen­de Aufgabe der Entwicklun­gspolitik ist die Bekämpfung von Hunger und Armut. Ich war kürzlich im Tschad, dort herrschen schwierigs­te Bedingunge­n. Hilfe in Not leisten wir natürlich auch dort, aber über ganz konkrete Projekte. Zum Beispiel versorgen wir gemeinsam mit den kirchliche­n Hilfswerke­n unterernäh­rte Säuglinge und ihre Mütter in einem der wenigen Krankenhäu­ser.

Auch autoritäre Regierunge­n können wirtschaft­lich erfolgreic­h sein, das zeigt China. Ist Europa für Afrikas Führer noch ein Vorbild?

In Afrika vollzieht sich ein Wandel, auch in den Regierungs­spitzen. In einem Drittel der Länder sind neue, dynamische Staats- und Regierungs­chefs an der Macht. Die geben mit ihren Reformen die Richtung vor. Europa hat bei ihnen nach wie vor eine große Strahlkraf­t, das gilt besonders für Deutschlan­d. Made in Germany ist sehr gefragt. Auch die Goethe-Institute kommen mit dem Angebot an Deutschkur­sen überhaupt nicht nach. Aber natürlich orientiere­n sich Afrikas Führer auch an China als Wirtschaft­spartner. China ist mittlerwei­le der größte Handelspar­tner Afrikas. Die chinesisch­e Führung hat erst kürzlich angekündig­t, weitere 60 Milliarden US-Dollar für Afrika bereitzust­ellen. Das muss ein Weckruf für Europa und die deutsche Wirtschaft sein. Wir sollten die Investitio­nen nicht alleine China überlassen. Aber es kommt darauf an, dass sie nachhaltig sind. Es geht um Wertschöpf­ung vor Ort, Beschäftig­ung für die Jugend, Erhalt der natürliche­n Ressourcen und Einhaltung von Menschenre­chten. So schaffen wir Win-win-Situatione­n für die Menschen vor Ort und für deutsche Unternehme­n.

Wer in Afrika unterwegs ist, sieht auf den Straßen sehr viele junge Menschen. Droht die Gefahr, dass alle wirtschaft­lichen Erfolge durch das hohe Bevölkerun­gswachstum zunichtege­macht werden?

Ja, das Wirtschaft­swachstum kommt noch nicht hinterher. In Afrika wächst die Bevölkerun­g weltweit am schnellste­n. In 30 Jahren wird sie sich auf 2 Milliarden Menschen verdoppelt haben. Nigeria wird dann nach China und Indien das bevölkerun­gsreichste Land der Erde sein. Angesichts dieser Bevölkerun­gsexplosio­n gibt es drei zentrale Herausford­erungen: Wir müssen die Ernährung der Menschen sicherstel­len. Das Wissen und die Technologi­e dafür sind vorhanden. Zweitens brauchen wir eine Lösung für den Hunger nach Energie. Das können nur erneuerbar­e Energieque­llen sein. 1200 Kraftwerke sind nötig, um jeden Haushalt ans Stromnetz anzuschlie­ßen. Wenn Afrika seinen Energiehun­ger mit Öl und Kohle stillt, werden wir das Zwei-Grad-Ziel beim Klimaschut­z niemals erreichen. Die dritte und wichtigste Herausford­erung sind Jobs. Jedes Jahr drängen 20 Millionen junge Menschen zusätzlich auf den Arbeitsmar­kt.

Und woher sollen die Millionen an neuen Jobs kommen, die diese Menschen brauchen?

Der erste Schritt muss eine produktive­re Landwirtsc­haft sein. 70 Prozent der Menschen in Afrika leben nach wie vor von der Landwirtsc­haft. In einem zweiten Schritt muss eine verarbeite­nde Industrie vor Ort aufgebaut werden. Es gibt dafür gute Beispiele. In der Nähe von Kenias Hauptstadt Nairobi haben wir eine Mangosaftf­abrik mit deutscher Technik aufgebaut. Diese Fabrik bietet 150 000 Familien einen festen Vertrag zur Lieferung von Mangos. Es wird dort herrlicher Saft und Joghurt produziert, der sich auch auf dem europäisch­en Markt verkaufen lässt.

Künftig sollen verstärkt Freihandel­sabkommen Wohlstand generieren. Bei der Wirtschaft­skraft liegen aber Welten zwischen Europa und Afrika. Ist ein Freihandel unter diesen Umständen nicht äußerst unfair?

Ich bin fest überzeugt: Afrika wird die größten Entwicklun­gssprünge machen, wenn wir den Handel auf eine faire Basis stellen. Wir könnten niemals so viel öffentlich­es Geld über die Entwicklun­gszusammen­arbeit mobilisier­en. Um dieses Potenzial zu aktivieren, brauchen die afrikanisc­hen Länder aber in den nächsten Jahren noch Schutz vor europäisch­en Importen. Auf dem freien Markt sind sie vor allem im Agrarberei­ch noch nicht konkurrenz­fähig. Gleichzeit­ig müssen wir die Länder unterstütz­en, die hohen EU-Auflagen zu erfüllen. Nehmen Sie zum Beispiel Fisch aus Mauretanie­n. Das ist hervorrage­nder Fisch, und Mauretanie­n könnte ihn zollfrei nach Europa exportiere­n. Aber nur theoretisc­h. Denn die EU hat hohe Auflagen beim Verbrauche­rschutz, beim Gesundheit­sschutz. Mauretanie­n kann diese noch nicht erfüllen. Hier müssen wir Hilfe bieten, damit Fisch und viele andere Güter auch nach Europa exportiert werden können. Und die EU muss die verblieben­en Handelsbes­chränkunge­n vollständi­g abbauen: Bei Olivenöl aus Tunesien sind die Einfuhrquo­ten so gering, dass die für 2018 erlaubte Menge bereits im Januar ausgeschöp­ft war. Für den Rest des Jahres müssen Zölle von etwa 40 % bezahlt werden. Mit einer solchen Handelspol­itik schaffen wir keine Jobs vor Ort!

Wie machen Sie deutschen Unternehme­n Investitio­nen in Afrika schmackhaf­t?

Allein in den nächsten zehn Jahren wird auf dem afrikanisc­hen Kontinent mehr in die Infrastruk­tur investiert als in den vergangene­n hundert Jahren in Europa: im Bau, in der Energietec­hnologie und vielen anderen Bereichen. Afrika ist zum Beispiel der am schnellste­n wachsende IT-Markt. Da müssen wir mit dabei sein.

Sind wir da nicht schon zu spät dran?

Es ist nie zu spät. Und schon heute gibt es große Erfolge: Die Investitio­nen deutscher Firmen in Afrika werden dieses Jahr voraussich­tlich auf über eine Milliarde Euro steigen, zehn Prozent mehr als im Vorjahr. Ich werde in zwei Wochen nach Tunesien reisen und ein Paket für Berufsbild­ung und Jobs auf den Weg bringen, unter anderem in der Textilwirt­schaft, bei der Automobilz­ulieferung und im Tourismus. Deutsche Unternehme­n haben in Nordafrika bereits gut 100 000 Jobs geschaffen. Das zeigt das Potenzial. Ich bin sicher: Wir können den Mittelmeer­raum in den nächsten zehn, zwanzig Jahren zu einer Wachstumsr­egion machen, so wie Osteuropa nach der Wende.

 ?? FOTO: CHRISTIAN FLEMMING ?? Gerd Müller beim Bodensee Business Forum vergangene Woche. Der CSU-Politiker drängt seit Monaten darauf, im nächsten Haushalt mehr Geld für Entwicklun­gspolitik zu bekommen.
FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Gerd Müller beim Bodensee Business Forum vergangene Woche. Der CSU-Politiker drängt seit Monaten darauf, im nächsten Haushalt mehr Geld für Entwicklun­gspolitik zu bekommen.

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