Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Die große Schulfrage
Wie CDU-Abgeordneter Haser und SPD-Politiker Zeller die Gemeinschaftsschule sehen
BAIENFURT - Niemand will an der Gemeinschaftsschule rütteln, die Gemeinden haben Planungssicherheit. Das machte Raimund Haser, der CDU-Landtagsabgeordnete aus dem Allgäu, am Mittwochabend in der Achtalschule in Baienfurt deutlich. Allerdings sieht er Nachholbedarf bei der Gemeinschaftsschule. Außerdem plädiert er für eine diverse Bildungslandschaft und homogene Lerngruppen. Norbert Zeller (SPD), der frühere Stabsstellenleiter Gemeinschaftsschule beim Kultusministerium unter Grün-Rot, wirft der CDU vor, die Schulart schlechtzureden. Er forderte von der Landesregierung Baden-Württemberg ein klares Bekenntnis für die Schulart. Rund 100 Besucher sind zu dem Diskussionsabend gekommen.
Dem öffentlichen Streitgespräch, zu dem die beiden Politiker in die Baienfurter Gemeinschaftsschule eingeladen hatten, war eine kontroverse Diskussion in der „Schwäbischen Zeitung“vorausgegangen, bei der Haser für eine Notengebung bei der Gemeinschaftsschule eingetreten ist und Sanktionsmöglichkeiten für die Lehrer fordert. Das wird allerdings von den Grünen und auch von Zeller scharf kritisiert. Haser sei Populist und habe das Konzept Gemeinschaftsschule nicht verstanden. Die differenzierte Leistungsbeurteilung sei gerechter und zielführender.
Offensichtlich hat es die Gemeinschaftsschule schwerer als andere Schularten. Das sieht man auch dann, wenn es reichlich gut funktionierende Schulen wie gerade im Landkreis Ravensburg gibt. Als Beispiele seien Baienfurt, Bergatreute oder Amtzell genannt. Noch immer hat die Schule das Image einer neuen Hauptschule. Haser berichtet von städtischen „Brennpunktschulen“außerhalb Oberschwabens, wo es Probleme gebe. „Da gibt es schwierige Schulen, wo Schüler nicht hingehen, wenn sie nicht polizeilich gezwungen werden. Da gibt es Schüler, wo es nicht darum geht, ob sie später bei der Deutschen Bank oder bei der Sparkasse arbeiten, sondern ob sie überhaupt erwerbstätig werden“, sagt er. Da bräuchten Lehrer Instrumente für Sanktionen. Außerdem kritisiert Haser, Grün-Rot habe sich nur auf die Gemeinschaftsschule (GMS) konzentriert und die anderen Schularten vernachlässigt.
Zeller für zweigliedriges System
Norbert Zeller, der die GMS mit entwickelt hat, glaubt, dass die CDU das Modell GMS nicht verstehen will. „Es wird immer vermittelt, das sei die Schule der Schwachen. Ich halte Ihnen vor, dass alles getan wird, um die Situation der GMS zu erschweren“, sagt er. Deshalb plädiert er für ein Zwei-Säulen-Modell: Das heißt, dass es künftig nur noch Gymnasien und Gemeinschaftsschulen geben soll, an denen Kinder auch das Abitur erlangen können. Dazu bräuchte es die Ausstattung der Schulen mit gymnasialen Lehrkräften. So hätten die Schüler zwei Alternativen, zur Allgemeinen Hochschulreife zu gelangen: über acht Jahre auf dem Regelgymnasium oder über neun an der GMS. Dann sei die GMS auch wettbewerbsfähig.
Den Vorwurf Hasers, man habe die Einführung der Schule 2012 übers Knie gebrochen und damit Schulen und Kinder (Haser: „Versuchsjahrgang“) überfordert, will er nicht gelten lassen. Zeller hingegen erinnerte an das Hauptschulsterben. Gerade auf dem Land standen viele Hauptund Werkrealschulen vor dem Aus. „41 Starterschulen haben uns damals gedrängt. Die Einführung war sinnvoll und hat nichts mit Versuchskaninchen zu tun“, so Zeller.
Eine Mutter bekannte sich als Anhängerin der GMS. Ihre Tochter sei eine gute Schülerin, war Jahrgangsbeste auf der Realschule, gehe aufs Gymnasium, liefere aber nur ab. Ihr Sohn gehe auf die Gemeinschaftsschule und habe Spaß am Lernen. „Auf dem Gymnasium haben Sie auch keine Homogenität. Ich wünsche mir Mut für ein zweigliedriges Schulsystem. So wie es jetzt ist, wird es die GMS immer schwer haben“, prognostizierte sie.
Lehrer und Schulleiter, die in Baienfurt dabei waren, beklagten, dass sie nicht wüssten, wo die GMS ihren Platz hat und dass Lehrer verunsichert seien, weil ihnen Unterstützung fehle. Auch radikale Forderungen nach einer achtjährigen Grundschule wurden laut.