Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Französisches Lebensgefühl auf vier Rädern
Die Ente ist mehr als ein Auto: Das legendäre Fahrzeug, das seinen 70. Geburtstag feiert, steht für einen unkonventionellen Lebensstil
PARIS - Wer einmal in ihr saß, erinnert sich ein Leben lang daran. Mit ihren Klappfenstern, der Handschaltung und dem stotternden Motor ist die Fahrt in einer Ente ein unvergessliches Erlebnis. Im 2CV begannen Liebesgeschichten, Kinofilme und Protestmärsche. Dass sein Auto einmal Kultstatus haben würde, konnte Citröen-Chef Pierre-Jules Boulanger allerdings 1948 nicht ahnen. Damals stellte er seinen „Volkswagen“vor, der ähnlich wie der VW-Käfer billig und einfach sein sollte. Boulanger gab deshalb schon in den 30erJahren seinen Ingenieuren den Auftrag, ein Fahrzeug zu entwerfen, „das vier Personen und 50 Kilo Kartoffeln transportieren kann. Vom Aussehen will ich nichts wissen.“
Einen gewissen Komfort wollte der Autohersteller seinen Käufern allerdings nicht verwehren. Sein neues Modell sollte so gut gefedert sein, dass ein Korb Eier nach der Fahrt heil ankommt. Die Eier überstanden dem damaligen Werbefilm zufolge zwar die Jungfernfahrt mit dem „deux chevaux“(zwei Pferde), doch die Insassen mussten mit einer spartanischen Ausstattung vorliebnehmen. Die Ente war anfangs mit nur einem Scheinwerfer ausgestattet, und der Scheibenwischer musste von innen mit der Hand bedient werden.
Das störte die Franzosen weniger als das ungewöhnliche Design. Die Presse sprach nach der Vorstellung beim Pariser Autosalon von einer „Konservendose auf vier Rädern“, einer „Schaukel“oder einem „hässlichen Entlein“, das damit seinen Spitznamen weghatte. Dennoch wurde die „Deudeuche“, wie die Franzosen sie nennen, in den 50erJahren zum Verkaufsschlager. Sogar Präsident Valéry Giscard d’Estaing setzte sich in einen der spartanischen Sitze, die eher an Campingstühle erinnern. „Ich kam mit dem Hubschrauber in Issy-les-Moulineaux an, um in den Elysée zurückzukehren. Doch keiner war da, um mich abzuholen“, erinnerte sich der
Ex-Präsident Valéry Giscard d’Estaing über seinen 2CV-Ausflug
Staatschef im Radio. Der Aristokrat fragte deshalb kurzerhand einen der Polizisten, der ihn dann in seinem Privatauto von der Vorstadt in den Präsidentenpalast kutschierte. „Wir durchquerten Paris im 2CV. Als wir am Elysée ankamen, waren die Protokollchefs höchst erstaunt.“
Wie Giscard kann praktisch jeder ältere Franzose seine eigene EntenGeschichte erzählen. „Meine Mutter fuhr mit mir und meinen Schwestern immer donnerstags, wenn wir schulfrei hatten, damit zum Picknick aufs Land“, berichtet Marc Bocquenet, der Vorsitzende der Vereinigung der französischen 2CV-Clubs. Mit 40 kaufte Bocquenet sich dann selbst eine Ente. „Mit dem Geruch und dem typischen Motorengeräusch waren die Erinnerungen an die Kindheit sofort wieder da.“
Auch als Kinostar fand das kleine Auto seine Rolle. Zum Beispiel in Louis de Funès’ Film „Der Gendarm von Saint Tropez“, wo eine Nonne so halsbrecherisch über die Hügel der Côte d’Azur rast, dass von ihrem 2CV nur noch die Karosserie übrig bleibt. Oder in „Die Liebenden“mit Jeanne Moreau, deren Romanze in einer Ente beginnt.
Für die Franzosen symbolisiert der kleine Citröen auch heute noch ein gewisses Lebensgefühl: unkonventionell, entspannt, ohne Ehrgeiz. Ein Art Antistatussymbol in den „trente glorieuses“, jenen 30 goldenen Jahren der Nachkriegszeit. Doch Mitte der 70er-Jahre endete der Mythos des 2CV in Frankreich: Das technisch längst überholte Auto verkaufte sich immer schlechter. Dafür erlebte die Ente in Deutschland einen zweiten Frühling als Symbol der Friedensbewegung. Kaum eine Schule oder Universität, vor der damals kein 2CV stand, meist in grün und mit einem Anti-Atomkraftaufkleber auf dem platten Hinterteil. Atomkraftgegner und Ökofreaks konnten allerdings nicht verhindern, dass die Produktion des Kultfahrzeugs eingestellt wurde. 1990 rollte in Portugal der letzte 2CV vom Band. Mit fünf Millionen verkauften Fahrzeugen ist er eines der erfolgreichsten französischen Autos.
Seither kümmern sich nur noch Liebhabervereine um die Legende, von der es in Frankreich noch mindestens 80 000 Exemplare gibt. Darunter so ausgefallene wie die „schwimmende Ente“oder eine fliegende Version. Alle zwei Jahre treffen
„Als wir am Elysée ankamen, waren die Protokollchefs höchst erstaunt.“
sich die Fans des Oldtimers irgendwo anders auf der Welt, um die originellsten Modelle vorzuzeigen. 2017 kamen im portugiesischen Ericiera mehr als 2000 Fahrzeuge zusammen. „Das ist kein Auto, das ist eine Lebenskunst“, lautet das Motto der Freundesvereine der kleinen Blechkiste, die auf den französischen Straßen nur noch selten zu sehen ist. Am Sonntag dürften aber viele Besitzer ihr gutes Stück aus der Garage holen. Dann wird der 2CV nämlich 70 – Bon anniversaire!