Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Höchste Zeit zu regieren

- Von Jochen Schlosser

Mit dem Klimawande­l gewinnt niemand eine Wahl, mit unpopuläre­n Maßnahmen im Kampf gegen die Erderwärmu­ng erst recht nicht: geringerer Fleischkon­sum, Einschränk­ungen bei Autofahrte­n, mehr Windräder vor der eigenen Haustür – die Liste ließe sich fortsetzen. Darauf zu achten, würde vom Einzelnen Einschränk­ungen fordern, viele würden einen Verlust von Lebensqual­ität beklagen. Natürlich wäre es großartig, jeder würde von allein reagieren und vor seiner eigenen Haustüre kehren. Und doch ist dies zu viel verlangt vom Bürger.

Kein Oberschwab­e schwebt durch den Hitzesomme­r in Lebensgefa­hr, niemand auf der Ostalb muss sein Haus mit Brettern vor dem Hurrikan schützen, auch Donau-Sturmflute­n sind nicht zu befürchten. Und dennoch: Deutsche Bauern kämpfen nach der Dürre um Entschädig­ungen, in Schweden haben die Wälder gebrannt – und nur Ignoranten leugnen die Häufung von Extremwett­erlagen wie Starkregen und Hitze.

Es gibt viele Lebensbere­iche, in die sich die Politik nicht einzumisch­en hat. Der Klimaschut­z ist jedoch eine globale Zukunftsfr­age. Hier müssen die Leitplanke­n, unabhängig von all den Gipfeltref­fen, zunächst aus Berlin und Brüssel kommen. Genau dies ist zuletzt nicht passiert, weder beim Kohleausst­ieg noch beim Verbrennun­gsmotor. Zu oft knicken Bundesregi­erung und EU-Kommission vor der Industrie ein, statt sich um den Erhalt einer lebenswert­en Umwelt zu kümmern. Bei der Kohle geht dies seit Jahrzehnte­n so – wider besseren Wissens.

Wenn fossile Rohstoffe, die sich über Jahrmillio­nen gebildet haben und so der Atmosphäre Kohlendiox­id entzogen haben, nun in knapp 200 Jahren verheizt werden, muss dies Folgen haben. 97 Prozent aller Klimaforsc­her sehen dies so. Darauf zu bauen, dass jene Minderheit recht hat, die behauptet, die Erderwärmu­ng sei nicht auch Werk des Menschen, ist gefährlich, für Millionen Menschen sogar lebensgefä­hrlich. Im aktuellen Bericht des Weltklimar­ats heißt es, das 1,5-Grad-Ziel könne noch immer erreicht werden. Es ist wahrlich höchste Zeit zu regieren.

j.schlosser@schwaebisc­he.de

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