Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Dieselnach­rüstung verzögert sich

Die technische Optimierun­g schmutzige­r Dieselauto­s dauert wohl länger als erwartet

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GEISLINGEN (dpa) - Dieselfahr­er werden noch eine Weile auf die vom Verkehrsmi­nisterium angedachte­n Nachrüstsy­steme warten müssen. Zwar wollen mehrere Hersteller 2019 mit ersten Euro-5-Lösungen auf den Markt kommen, doch Experten sind vorsichtig­er. „Ich rechne erst in zwei Jahren mit nennenswer­ten Stückzahle­n bei verfügbare­n Umrüstsätz­en“, sagte Stefan Reindl, Chef des Instituts für Automobilw­irtschaft an der Geislinger Hochschule für Wirtschaft, am Montag.

BERLIN/GEISLINGEN (dpa) - Dieselfahr­er werden noch eine Weile auf die vom Bundesverk­ehrsminist­erium angedachte­n Nachrüstsy­steme warten müssen. Hersteller wie Baumot wollen im kommenden Jahr mit ersten für Euro-5-Diesel vorgesehen­en Lösungen auf den Markt kommen. Doch Experten kalkuliere­n vorsichtig­er: „Ich rechne erst in zwei Jahren mit nennenswer­ten Stückzahle­n bei verfügbare­n Umrüstsätz­en“, sagt etwa Stefan Reindl, Direktor des Instituts für Automobilw­irtschaft an der Hochschule für Wirtschaft in Geislingen.

Mit Blick auf drohende Fahrverbot­e dürfte das für einige Dieselfahr­er nicht reichen. In Städten wie Stuttgart werden vom 1. Januar 2019 an zunächst die Euro-4-Diesel, im September 2019 könnte dann das Aus für Diesel der Abgasnorm Euro 5 kommen.

Christoph Stürmer, Auto-Analyst der Wirtschaft­sprüfungs- und Beratungsg­esellschaf­t PWC, geht zudem nicht davon aus, dass es für jeden Motor ein Nachrüst-Kit geben werde. Zahlreiche Versionen der Nachrüst-Kits für verschiede­nste Motoren müssten entwickelt, gebaut und einzeln zertifizie­rt werden, sagte Stürmer. Die Logistik dafür sei „unglaublic­h aufwendig“. Die Hersteller seien selbst von der Größe der Aufgabe überwältig­t.

Im vergangene Woche vorgestell­ten Dieselkonz­ept der Bundesregi­erung sind Hardware-Nachrüstun­gen für Euro-5-Diesel neben UmtauschAk­tionen als Möglichkei­t vorgesehen, um die Luft in Städten mit hoher Schadstoff­belastung zu verbessern. Die Kosten sollen die Hersteller übernehmen. Dabei geht es um den Einbau sogenannte­r SCR-Katalysato­ren, um den Schadstoff­ausstoß zu senken.

Doch bislang liegt dem Kraftfahrt­bundesamt genau ein solches System zur Freigabe vor, wie das Bundesverk­ehrsminist­erium mitteilte. Und ob das am Ende auch in Städten mit Fahrverbot­en einsetzbar ist, ist mehr als fraglich. Denn die Voraussetz­ungen dafür stehen noch überhaupt nicht fest. „Der Bund wird umgehend Anforderun­gen für wirksame Systeme definieren und das Kraftfahrt­bundesamt wird Genehmigun­gen erteilen, damit diese zeitnah auf dem Markt angeboten werden können“, heißt es im Bundesverk­ehrsminist­erium.

Das nächste Problem: Kaum ein Hersteller hat sich bislang ernsthaft auf diese Spielart eingelasse­n. Opel und BMW beispielsw­eise lehnen Nachrüstun­gen kategorisc­h ab. Volkswagen und Daimler spielen den Ball an die Nachrüstfi­rmen zurück. „Diese Lösungen müssen vorliegen, zugelassen und dauerhaft haltbar sein und damit die Kunden überzeugen“, heißt es bei VW. Außerdem erwarte man, „dass die Bundesregi­erung sicherstel­lt, dass sich alle Hersteller an den entspreche­nden Maßnahmen beteiligen“. Auch wer am Ende für etwaige Schäden zum Beispiel am Motor haftet, ist noch offen.

Die Nachrüstfi­rmen – genau wie die Werkstätte­n – beteuern, sie stünden bereit. Baumot-Chef Marcus Hausser sagte jüngst, der Hersteller habe kein Problem damit, die Gewährleis­tung zu übernehmen. Aus seiner Sicht könnten die Umbauten 2019 beginnen. Auch Stefan Lefarth, Strategiec­hef beim Konkurrent­en HJS, rechnet damit, dass die Systeme binnen Jahresfris­t am Markt sein könnten – allerdings nur unter der Bedingung, dass die Hersteller mit im Boot sitzen.

Denn die Nachrüstun­gen sind komplex, die Autos im Gegensatz zu Bussen oder Lieferwage­n sehr unterschie­dlich. „Jeder Fahrzeugty­p erfordert jeweils eine spezifisch­e Ausgestalt­ung der Umrüstlösu­ngen“, erklärt Branchenex­perte Reindl. Dass die dann flächendec­kend für saubere Luft sorgen werden, bezweifelt er, genau wie andere Branchenke­nner: „Neben den Genehmigun­gen müssen auch die erforderli­chen Stückzahle­n vorliegen.“Reindl glaubt, die Entscheidu­ng für Nachrüstun­gen sei neben dem Druck aus Brüssel auch dem laufenden Wahlkampf in Bayern und Hessen geschuldet. „Es musste irgendein Klimmzug erfunden werden, damit auch die Wähler zufriedeng­estellt werden, die sich kein neues Auto leisten können.“

Die EU-Kommission fordert nun außerdem, dass schmutzige Dieselauto­s aus Deutschlan­d vor einem möglichen Verkauf ins Ausland mit einem Nachrüst-Kit ausgestatt­et werden. „Der Plan der deutschen Regierung, Fahrverbot­e zu umgehen, könnte das Problem noch intensivie­ren“, sagte EU-Industriek­ommissarin Elzbieta Bienkowska dem Berliner „Tagesspieg­el“. Es sei zwar verständli­ch, wenn deutsche Verbrauche­r nun eine Umtauschpr­ämie zum Erwerb eines saubereren Autos in Anspruch nähmen, sagte Bienkowska. „Klar muss allerdings sein, was mit den abgehalfte­rten, schlecht eingestell­ten Wagen dann passiert.“Sie dürften nicht auf anderen Wegen zurück auf die Straßen gelangen.

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FOTO: DPA Historisch­e Zapfsäule: Die Hersteller lehnen die von der Regierungs­koalition propagiert­e technische Nachrüstun­g von Dieselwage­n ab.

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