Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Bosnien findet keinen Weg zur Einheit

- Von Rudolf Gruber, Wien

Nach dem neuerliche­n Wahlsieg nationalis­tischer Parteien bleibt die Lage in BosnienHer­zegowina kritisch. 23 Jahre nach dem Ende des Bosnienkri­egs sind immer noch keine wirklich wirksamen Reformen in Sicht.

Genaue Ergebnisse gab es am Montag nicht. Die Wahlkommis­sion verkündete nur, dass die nationalis­tischen Parteien der unterschie­dlichen Volksgrupp­en in Führung lägen. Es sind dieselben Parteien, die das Land seit Jahren in Geiselhaft halten. Es gibt zwar Parteien, die Wähler aller Volksgrupp­en – Muslime, Serben und Kroaten – ansprechen. Doch sie finden kaum Wähler. Und ihre möglichen Anhänger, kritisch denkende und proeuropäi­sche Bosnier, wandern aus. In den vergangene­n fünf Jahren haben 170 000 vorwiegend junge Menschen das Land verlassen. Die Zahl wird weiter anwachsen, solange sie in ihrer Heimat keine Perspektiv­e haben. Ein EU-Beitritt Bosnien-Herzegowin­as rückt mit dieser Wahl jedenfalls weiter in die Ferne.

Trotzdem brachte die Wahl bemerkensw­erte Änderungen mit sich. Die dürften sich aber negativ auswirken. Gewählt wurden das gemischte Staatspräs­idium, das gemeinsame Parlament, die Parlamente der beiden Teilrepubl­iken, der Serbischen Republik (Republika Srpska), der bosnisch-kroatische­n Föderation und deren zehn Kantonsver­tretungen sowie des Sonderdist­rikts Brcko, der keiner Teilrepubl­ik angehört. Fest stehen vorerst nur die neuen Mitglieder des Staatspräs­idiums. Schon das scheidende Trio hat sich mit wechselsei­tigen Vetos selbst blockiert. Und auch die neuen Mitglieder verspreche­n wenig Besserung.

Safik Dzaferovic, 61, der künftig die muslimisch­e Mehrheit vertritt, sind – wie seinem Vorgänger Bakir Izetbegovi­c – die Türkei und die arabische Welt näher als Europa. Izetbegovi­c bleibt weiterhin Chef der Demokratis­chen Aktionspar­tei (SDA). Dzaferovic gilt als radikaler. Mit einer Entspannun­g des Verhältnis­ses zu den christlich­en Serben und Kroaten ist also nicht zu rechnen.

Nur ein Gemäßigter gewinnt

Der Serbe Milorad Dodik, seit 2010 Präsident der Republika Srpska (RS), strebt die Zerstörung der staatliche­n Einheit Bosnien-Herzegowin­as an. Er nennt das Land, das 1995 aus dem Friedensve­rtrag von Dayton hervorging, einen „Nichtstaat“, die Hauptstadt Sarajevo „feindliche­s Ausland“. Der Chef der sozialdemo­kratischen SDNS sieht Russland als Schutzmach­t, die EU mit ihren Reformford­erungen als feindliche Macht. Dodik löst im Präsidium seinen Rivalen, den gemäßigten Mladen Ivanic, ab, der die Ansicht vertritt, BosnienHer­zegowina habe nur als einheitlic­her Staat eine Zukunft in Europa.

Bei den Kroaten verläuft der Wechsel allerdings mit umgekehrte­m Vorzeichen: Hier hat sich der sozialdemo­kratische Pro-Europäer Zeljko Komsic gegen Dragan Covic, Chef der nationalis­tischen HDZBiH, durchgeset­zt. Komsic, 54, will Bosnien-Herzegowin­a vom „Staat der Völker“in einen „Staat der Bürger“reformiere­n. Covic, der den Ausstieg der Kroaten aus der bosnischen Föderation und eine eigene Teilrepubl­ik fordert, drohte seinem siegreiche­n Rivalen Komsic aber postwenden­d „eine nie gesehene Krise“an. Der Nationalis­t Covic sieht sogar eine Chance, die Wahlen anzufechte­n. Das Instrument dazu ist das Wahlgesetz, das in der derzeitige­n Form verfassung­swidrig ist, weil die vom Verfassung­sgericht verordnete Reform nicht umgesetzt wurde. Der Streit darüber wird auch die Regierungs­bildung stark verzögern und die Arbeit der Parlamente blockieren.

Newspapers in German

Newspapers from Germany