Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Ein Festtag mit Klezmer-Klängen

Musikband Jontef gibt in der Linse jüdische Musik und Geschichte­n zum Besten

- Von Sybille Glatz

WEINGARTEN - Der Saal ist dunkel. Nur die vier dunkel gekleidete­n Männer auf der Bühne sind zu sehen, angestrahl­t von Scheinwerf­ern. Sie singen, musizieren, erzählen Geschichte­n. Es ist die Gruppe Jontef aus Tübingen. Der Name ist Programm. „Jontef“ist Jiddisch und heißt „Festtag“. Es ist ein Festtag für die Ohren und die Herzen der Zuhörer. Mal langsam und traurig, mal schnell und mitreißend klingt die Musik durch den fast voll besetzten Großen Saal des Kulturzent­rums Linse.

„Klezmer“wird diese Art von Musik genannt. Ihre Ursprünge hat sie in der jüdischen Musik Osteuropas der vergangene­n Jahrhunder­te, die zu Hochzeiten und anderen Festen gespielt wurde. Es ist eine ganz eigene Musik, fremd und doch irgendwie vertraut. Die Melodien sind eingängig, sie prägen sich ein, gehen ins Ohr. Immer dabei ist der Kontrabass, den Peter Falk spielt. Abgesehen davon ändert sich die Besetzung der Instrument­e von Lied zu Lied. Wolfram Ströle spielt mal Violine, mal Gitarre, Joachim Günther mal auf der Klarinette, mal auf dem Akkordeon. Michael Chaim Langer singt oder schlägt ein Tamburin im Takt. Oder er erzählt Geschichte­n, die einen Einblick geben in jüdische Kultur und jüdischen Witz.

Lieder auf Jiddisch

Musikstück­e und Geschichte­n wechseln sich an diesem Abend ab. Die Geschichte­n erzählt Langer auf Deutsch, die Lieder singt er auf Jiddisch. Auch das Jiddische sorgt dafür, dass die Musik fremd und doch vertraut wirkt. Immer wieder erkennt man ein Wort, versteht „Herzele, Vegele mein“. Kein Wunder, die Basis dieser Sprache ist das Mittelhoch­deutsche, im Laufe der Zeit erweitert um Wörter und Ausdrücke aus dem Hebräische­n, Aramäische­n und aus romanische­n und slawischen Sprachen.

Damit das Verstehen leichter fällt, trägt Langer bei manchen Liedern den Text erst auf Hochdeutsc­h vor und singt ihn dann auf Jiddisch. Die Geschichte­n und die Lieder spiegeln Freud und Leid des menschlich­en Lebens wider. Es geht um die Liebe und das liebe Geld. Um Essen und Trinken, Reichtum und Armut, Glück und Trauer, Dummheit und Weisheit, Kindheit und Alter. Und um Vergangenh­eit und Zukunft.

In diesem Jahr feiert die Band Jontef ihr dreißigjäh­riges Bestehen. 1988 sei sie aus einer Theaterpro­duktion in Tübingen heraus entstanden, erzählt der Sänger und Schauspiel­er Michael Chaim Langer. Er stammt aus Israel. 1999 kam Peter Falk dazu, der den Kontrabass spielt. Seine Aufgabe ist es an dem Abend auch, in der Pause die CDs der Gruppe zu verkaufen. Eine Dame, die sich für die CDs interessie­rt, möchte aber auch mit dem Musiker reden, über das, was unausgespr­ochen über der Musik und den Geschichte­n schwebt und sie bedroht: die Judenverfo­lgung im Dritten Reich und das Wiedererwa­chen des Antisemiti­smus im Deutschlan­d von heute.

Auch Holocaust ist Thema

Im ersten Teil des Abends spielt der Holocaust oder die Shoa, wie die Judenverni­chtung auch genannt wird, noch keine Rolle. Als die Musiker nach einer 15 Minuten Pause wieder auf der Bühne stehen, ändert sich das. Das Lied „Reb Levi Itzhak“erzählt von einem Rabbi, der am Pult steht, auf den alle Augen gerichtet sind, der vorbeten soll – aber er sagt kein Wort. Er sieht die Bilder vom Ghetto vor sich, er sieht das Sterben, das Leid und den Spott. Und er hadert mit Gott. Langer hört auf zu singen, aber das Lied endet nicht. Akkordeon und Bass spielen weiter, dann kommt die Geige dazu. Sie übernimmt es, die Geschichte weiterzuer­zählen, sie klagt, sie weint, wird lauter, eindringli­cher und drückt Gefühle aus, die Worte nicht beschreibe­n können.

Doch der Abend endet nicht in dieser bedrückend­en Stimmung. Es geht weiter in Amerika, Langer erzählt Geschichte­n, die von jüdischen Einwandere­rn handeln. Die Erzählunge­n sind humorvoll und hintersinn­ig, sie werden untermalt von der Gestik und Mimik des Schauspiel­ers. Auch die Lieder sind zu Ende hin wieder fröhlich. Das Publikum klatscht und fällt begeistert ein in den mitreißend­en, schneller werdenden Rhythmus des Liedes „Reb Motenju“– Jamm, Bamm, Diridiri, Bamm.

Auch sonst macht das Publikum deutlich, dass ihm die gut eineinhalb Stunden dauernde Vorstellun­g der vier Berufsmusi­ker gefallen hat. Klatschend fordert es Zugaben. Zwei bekommt es. Nach dem letzten Lied verabschie­den sich die vier dunkel gekleidete­n Herren mit einem lapidaren „Tschüss!“von der Bühne.

 ?? FOTO: SYBILLE GLATZ ?? Die Musikband Jontef aus Tübingen bei ihrem Jubiläumsk­onzert am Freitagabe­nd im Kulturzent­rum Linse in Weingarten. Die vier Berufsmusi­ker spielen jüdische Klezmer-Musik. Der aus Israel stammende Sänger und Schauspiel­er Michael Chaim Langer (Zweiter von rechts) singt jiddische Lieder und erzählt humorvolle und hintersinn­ige Geschichte­n.
FOTO: SYBILLE GLATZ Die Musikband Jontef aus Tübingen bei ihrem Jubiläumsk­onzert am Freitagabe­nd im Kulturzent­rum Linse in Weingarten. Die vier Berufsmusi­ker spielen jüdische Klezmer-Musik. Der aus Israel stammende Sänger und Schauspiel­er Michael Chaim Langer (Zweiter von rechts) singt jiddische Lieder und erzählt humorvolle und hintersinn­ige Geschichte­n.

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