Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Schneller laufen, schneller schwimmen, mehr mitsprechen
Athleten gehen in die Offensive – auch und gerade gegen das Internationale Olympische Komitee
BUENOS AIRES/BERLIN (SID) - IOCPräsident Thomas Bach lässt in der Regel keine Gelegenheit aus, die Bedeutung der Athleten für die olympische Bewegung zu betonen. Doch bei den Sportlern wird der Frust über Bevormundung und mangelnde Mitbestimmung immer größer. Rund um die IOC-Session in Buenos Aires wächst der Protest gegen eine vom Dachverband vorbereitete Athletenerklärung. „Wir trainieren und wollen schneller laufen, schwimmen oder unseren Sport besser machen. Dafür erhalten wir aber keine Rückendeckung, keine Mitsprache“, sagte Athletensprecher Petr Koukal von der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA). „Wir bekommen nur die Entscheidungen mitgeteilt, und das tut weh. Allen“, so der Tscheche.
Auch Max Hartung, am Wochenende im Amt des Vorsitzenden der Athletenkommission des Deutschen Olympischen Sportbundes bestätigt, sieht immer mehr IOC-Gegner unter den Sportlern. „Das ist eine Bewegung und ein grundsätzlicher Trend, den das IOC gerade wahrnimmt und den sie überhaupt nicht aufhalten können“, beobachtet der Fechter.
Das Internationale Olympische Komitee (IOC) gibt sich nach außen gelassen, obwohl es intern schon mit den Athleten Gespräche geführt hat. „Es gibt einzelne Stimmen von Sportlern, die eine andere Meinung haben. Das ist normal. Aber wir haben eine demokratisch gewählte IOC-Athletenvertretung, die respektieren wir“, sagte Bach.
Doch gerade in der Frage um die jüngste Wiederaufnahme Russlands in die WADA nach dem Dopingskandal zeigt sich, wie weit mittlerweile die Meinungen zwischen Funktionären und Athleten auseinandergehen. Victoria Aggar von der Athletenkommission der WADA meinte, sie sei wie viele andere „enttäuscht über die Entscheidung der WADA, ihre eigenen Richtlinien zu ändern, um sich Russland zu fügen“. Damit traf Aggar bei führenden WADA- und IOC-Repräsentanten offenbar einen wunden Punkt. WADA-Chef Craig Reedie zeigte in der Russland-Frage denn überhaupt kein Verständnis mehr für die Kritik der Athleten. „Die sollten ihren Platz in der Sportwelt kennen, sich endlich richtig mit dem Thema auseinandersetzen und sich dann erst eine Meinung bilden“, wetterte der Brite am ZDF-Mikrofon.
Kirsty Coventry, Vorsitzende der Athletenkommission des IOC und streng auf Bach-Linie, attackierte auf offener Bühne Sportler, die bei den Winterspielen in Pyeongchang im Februar ihren Protest gegen die Teilnahme Russlands artikuliert hatten. „Ich war angewidert, wie mache Sportler die russischen Athleten bei den Olympischen Spielen in Südkorea behandelt haben, es war furchtbar“, sagte die Ex-Schwimmerin aus Simbabwe, die heute Sportministerin ihres Landes ist.
Die Gräben werden immer tiefer. Bei der IOC-Session in Argentiniens Hauptstadt droht jetzt ein Eklat, weil sich die Athletenverbände gegen die Verabschiedung der neuen Erklärung des IOC zu den „Rechten und Pflichten von Athleten“wandten und um Aufschub baten. „Wir sind nicht davon überzeugt, dass die Stimme der Athleten ausreichend gesucht wurde“, kritisierten sie. Zu den Aufsässigen gehören Athletenverbände aus den USA, Kanada, Großbritannien und Deutschland, deren Wortführer Hartung ist.
Mittlerweile finden die Athleten aber auch Sympathisanten im IOC. Richard Pound, dienstältestes IOCMitglied und traditionell in Opposition zu Bach, sagte angesichts des anhaltenden Konfliktes: „In unserer Organisation gibt es diese enorme Machtfülle des Präsidenten, und ich glaube wirklich, dass das IOC und die Funktionäre sich nicht genug mit den Sportlern auseinandergesetzt haben, sich zu wenig um sie kümmern – zeitlich und auch finanziell.“