Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Vom alten in ein neues Leben
Galerie in der Caritas in Ravensburg zeigt noch bis 31. Dezember einen fotografischen Essay von Nikita Anders
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RAVENSBURG (sz) Eine anhaltende, Debatte über Zuwanderung und Flüchtlingskrise, Menschen, die auf der Suche nach Schutz und Glück in Deutschland gelandet sind, dies prägt unsere Gegenwart und ist dabei doch keineswegs neu. „Ich erinnere mich an die 1990er-Jahre, als ich mit meiner Schwester und meinen Eltern von Usbekistan nach Deutschland kam, und ich erkenne Parallelen zu heute“, sagt Nikita Anders laut einer Pressemitteilung der Caritas. Dies habe ihn dazu veranlasst, seine eigene Migrationsgeschichte in der aktuellen weltpolitischen Lage wiederzuentdecken und in die Vergangenheit einzutaschen. Das Ergebnis ist eine Reise in die Zwischenwelt der Übergangswohnheime, ein laut Pressetext bewegendes Foto-Essay, in dem Anders den Weg seiner Familie von Taschkent nach Kempten – „vom alten in ein neues Leben“– nachzeichnet. Die dokumentarische Ausstellung ist noch bis 31. Dezember in der Galerie der Caritas in der Ravensburger Seestraße 44 zu sehen.
„Man nannte uns zwar Spätaussiedler oder Russlanddeutsche und nicht Migranten, und wir kamen nicht mit dem Schlauchboot über das Meer, sondern landeten mit dem Flugzeug in Deutschland, aber es gibt viele Parallelen“, sagt Nikita Anders, der die Erfahrung, fremd zu sein, mit den heutigen Zuwanderern teilt. „Wir waren Figuren im Räderwerk deutscher Behörden, hatten kaum Deutschkenntnisse und wussten nicht, was die Zukunft bringt“, sagte er bei der Ausstellungseröffnung. Anders zeichnet in seinem Foto-Essay den Weg seiner Familie von Usbekistan nach Kempten nach. Nüchterne Behördendokumente wie Einweisungsoder Weiterleitungsbescheinigungen, Berechtigungsscheine und Anwaltskorrespondenzen füllen die komplette Wand eines Treppenaufgangs in der Caritas-Galerie und dokumentieren den mühsamen Weg der Familie. Kommentierungen gibt es nicht. Der Betrachter kann und soll sich seine eigenen Gedanken dazu machen, heißt es in der Ankündigung.
Der zweite Teil des Essays gewährt Einblicke in ein Zwischenleben, bestehend aus Warten und Orientierung. Nikita Anders hat nach 20 Jahren Orte in Rastatt, Nürnberg, Mindelheim und Kempten besucht, in denen seine Familie für eine Zeit lang untergebracht war. „Wir lebten sechs Monate lang zu viert ohne Privatsphäre in einem einzigen Zimmer eines Übergangswohnheims“, berichtet Anders, der damals zehn Jahre alt gewesen war. Manche der von ihm fotografierten Heime dienen noch heute dem Zweck, den sie schon in den 1990er-Jahren hatten. „Ich bin kein Fotokünstler“, betont der Gestalter und Kommunikationsdesigner. Seine Aufnahmen zeigen aber im Vergleich mit früheren Fotos der Familie Anders, dass sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten beschämend wenig verändert hat, so die Pressemitteilung. „Die Bettgestelle und Schränke sind die gleichen, und sogar das alte Wandtelefon gibt es noch“, kommentiert er ein Foto aus einem Übergangswohnheim. Die Politik habe bis heute nicht begriffen, dass Deutschland schon lange ein Zuwanderungsland sei, bedauerte Wolfram Frommlet, der in die Ausstellung einführte. Der Autor, Journalist und Kulturschaffende erinnerte daran, dass auch viele Deutsche früher ihr Heimatland verließen, um anderswo ihr Glück zu finden. „Sie waren das, was jetzt Migranten sind“, zitiert der Pressetext. Jede Flucht habe ihre eigene Geschichte – damals wie heute, gab er zu bedenken.
Die Ausstellung „Anders – Die Reise einer Familie“ist noch bis 31. Dezember in der Galerie der Caritas, Seestraße 44, in Ravensburg zu sehen: montags bis donnerstags von 8 bis 12 und von 13.30 bis 17 Uhr, freitags von 8 bis 12 Uhr, www.caritas-bodenseeoberschwaben.de.