Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Eine Frage von Leben und Tod
Für Außenstehende ist es unmöglich nachzuempfinden, was es heißt, über Leben und Tod eines ungeborenen Kindes entscheiden zu müssen. Denn unabhängig davon, ob die Eltern für oder gegen einen Schwangerschaftsabbruch sind, diese Entscheidung wird sie ihr Leben lang begleiten. Deshalb kann die Frage, ob Krankenkassen die Kosten vorgeburtlicher Bluttests übernehmen sollen, nicht nur nach medizinischen Kriterien bewertet werden. Denn bei dieser Debatte geht es um eine tiefer gehende, ethische Frage. Es geht um das Lebensrecht von Menschen, die sich aufgrund eines Gendefekts anders entwickeln werden als die meisten. Und es geht um die Frage, welche Rechte werdenden Eltern im Zuge des medizinischen Fortschritts zugestanden werden.
Dabei haben die Befürworter der Bluttests zur Bestimmung des DownSyndroms und anderer Chromosomen-Abweichungen scheinbar gute Argumente auf ihrer Seite: Die Risiken für die ungeborenen Kinder sind sehr viel geringer als bei den bisher gängigen Verfahren. Und die Tests bringen zu einem früheren Zeitpunkt der Schwangerschaft Ergebnisse, die zu 99 Prozent zutreffend sind – und somit auch einen früheren Abbruch ermöglichen. Das mag Eltern, die sich gegen ein behindertes Kind entscheiden, helfen. Auf der anderen Seite erhöht ein scheinbar risikofreier, von den Kassen bezahlter Test den Druck, diese Methode auch anzuwenden. Für ungeborene Kinder mit Trisomie 21 könnte dies fatale Folgen haben.
Bereits heute werden bis zu 95 Prozent der Schwangerschaften mit Down-Syndrom abgebrochen. Dabei sind diese Menschen nicht krank, sondern schlicht anders. Wie geht es ihnen damit, wenn sie erfahren, dass sie straffrei abgetrieben hätten werden können? Diese Frage wird viel zu selten diskutiert. Dass diese Menschen aussortiert werden, ist zu gesellschaftlicher Normalität geworden, gleichzeitig scheint das im Grundgesetz garantierte Recht auf Leben für sie nicht zu gelten. Das zeigt, wie notwendig die Debatte um vorgeburtliche Bluttests sind. Schließlich geht es um Wert und Würde behinderter Menschen. Mehr noch: um Leben oder Tod.