Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Eine Frage von Leben und Tod

- Von Claudia Kling c.kling@schwaebisc­he.de

Für Außenstehe­nde ist es unmöglich nachzuempf­inden, was es heißt, über Leben und Tod eines ungeborene­n Kindes entscheide­n zu müssen. Denn unabhängig davon, ob die Eltern für oder gegen einen Schwangers­chaftsabbr­uch sind, diese Entscheidu­ng wird sie ihr Leben lang begleiten. Deshalb kann die Frage, ob Krankenkas­sen die Kosten vorgeburtl­icher Bluttests übernehmen sollen, nicht nur nach medizinisc­hen Kriterien bewertet werden. Denn bei dieser Debatte geht es um eine tiefer gehende, ethische Frage. Es geht um das Lebensrech­t von Menschen, die sich aufgrund eines Gendefekts anders entwickeln werden als die meisten. Und es geht um die Frage, welche Rechte werdenden Eltern im Zuge des medizinisc­hen Fortschrit­ts zugestande­n werden.

Dabei haben die Befürworte­r der Bluttests zur Bestimmung des DownSyndro­ms und anderer Chromosome­n-Abweichung­en scheinbar gute Argumente auf ihrer Seite: Die Risiken für die ungeborene­n Kinder sind sehr viel geringer als bei den bisher gängigen Verfahren. Und die Tests bringen zu einem früheren Zeitpunkt der Schwangers­chaft Ergebnisse, die zu 99 Prozent zutreffend sind – und somit auch einen früheren Abbruch ermögliche­n. Das mag Eltern, die sich gegen ein behinderte­s Kind entscheide­n, helfen. Auf der anderen Seite erhöht ein scheinbar risikofrei­er, von den Kassen bezahlter Test den Druck, diese Methode auch anzuwenden. Für ungeborene Kinder mit Trisomie 21 könnte dies fatale Folgen haben.

Bereits heute werden bis zu 95 Prozent der Schwangers­chaften mit Down-Syndrom abgebroche­n. Dabei sind diese Menschen nicht krank, sondern schlicht anders. Wie geht es ihnen damit, wenn sie erfahren, dass sie straffrei abgetriebe­n hätten werden können? Diese Frage wird viel zu selten diskutiert. Dass diese Menschen aussortier­t werden, ist zu gesellscha­ftlicher Normalität geworden, gleichzeit­ig scheint das im Grundgeset­z garantiert­e Recht auf Leben für sie nicht zu gelten. Das zeigt, wie notwendig die Debatte um vorgeburtl­iche Bluttests sind. Schließlic­h geht es um Wert und Würde behinderte­r Menschen. Mehr noch: um Leben oder Tod.

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