Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Jeder achte Zug im Südwesten verspätet

Verspätung­en im Regionalve­rkehr häufen sich – Experte fordert Entschädig­ung für Pendler

- Von Simon Haas

RAVENSBURG (sz) - Ausgerechn­et auf einer Strecke in die Schweiz sind Regionalzü­ge der Deutschen Bahn pünktlich. Im übrigen Baden-Württember­g verfehlt die Bahn eine wünschensw­erte Pünktlichk­eitsquote zum Teil dramatisch. Im Vergleich zum Vorjahr hat diese weiter abgenommen: Damals betrug die Quote 91,3 Prozent, aktuell liegt sie bei 88,2 Prozent. Wir zeigen die wichtigste­n Strecken in einer Grafik.

RAVENSBURG - Ein Taktfahrpl­an nach Schweizer Vorbild soll den Bahnverkeh­r ab 2020 zuverlässi­ger machen. Dass das durchaus eine gute Idee sein könnte, zeigt eine Auswertung der „Schwäbisch­en Zeitung“: Außer auf einem kurzen Abschnitt zwischen Singen und der Schweiz konnten Regionalzü­ge im September auf keiner Strecke eine wünschensw­erte Pünktlichk­eitsquote von 95 Prozent erreichen.

Im Vergleich zum Vorjahr hat diese auf fast allen Strecken Baden-Württember­gs abgenommen. Damals betrug die Pünktlichk­eitsquote 91,3 Prozent, aktuell liegt sie bei 88,2 Prozent. Auch im bundesweit­en Vergleich schneidet der Regionalve­rkehr im Südwesten schlecht ab: Im Gesamtjahr 2017 lag die Quote bei 91,4 Prozent – das sind 2,7 Prozentpun­kte weniger als im Bund. Noch im Jahr 2012 waren 94 Prozent der Regionalzü­ge pünktlich. Seitdem geht der Wert nach unten. Besonders dramatisch ist die Entwicklun­g im Netz „Donau-Ostalb“, zu dem etwa die Strecken BaselFried­richshafen-Ulm, Stuttgart-Sigmaringe­n-Aulendorf und Ulm-Sigmaringe­n-Tittisee-Neustadt gehören.

Vor der Unterzeich­nung der Verträge mit der DB Regio freute sich Verkehrsmi­nister Winfried Hermann noch über mehr Komfort und einen „besseren Takt“in diesem Netz. Eineinhalb Jahre später sind die Züge auf diesen Strecken zwar tatsächlic­h mit WLAN und Klimaanlag­e ausgestatt­et, unpünktlic­h sind sie trotzdem: Mehr als jeder vierte kam dort im September 2018 zu spät, im Vorjahresz­eitraum war es nur jeder achte.

Die größten Schwankung­en in der Pünktlichk­eit im Südwesten gab es auf der Strecke Aalen-Stuttgart: In der Kalenderwo­che 35, Ende August, lag diese bei 95 Prozent, vier Wochen später bei lediglich 79,9 Prozent.

Positiv hat sich die Pünktlichk­eit hingegen auf der Südbahn entwickelt (+ 4,7 Prozentpun­kte). Zwischen Singen und Schaffhaus­en erreicht die Bahn sogar einen Traumwert von 97 Prozent. Bis Dezember 2017 fuhr dort noch jeder zweite Zug im Auftrag eines Schweizer Bahnuntern­ehmens.

Doch selbst wenn die Quote 100 Prozent betrüge, heißt das nicht, dass auch alle Reisenden ihren Anschluss erreichen. Denn für die Bahn gilt selbst ein Zug mit einer Verspätung von fünf Minuten und 59 Sekunden noch als pünktlich. Erst ab Minute sechs wird diese registrier­t. Die Schweizer definieren den Begriff Verspätung strenger: Dort liegt diese bereits ab drei Minuten vor, allerdings ist auch nur etwa jeder zehnte Schweizer Reisende davon betroffen.

Im Vergleich zum deutschen Fernverkeh­r, wo es im August bei fast jedem dritten Zug zu Verspätung­en kam, sind Regionalzü­ge im Südwesten aber noch vergleichs­weise zuverlässi­g. Generell gilt: Je unpünktlic­her der Fernverkeh­r, desto höher die Wahrschein­lichkeit, dass es auch im Regionalve­rkehr zu Verzögerun­gen kommt. „Durch verspätete Fernzüge werden Regionalzü­ge auf der Strecke ausgebrems­t oder müssen an Bahnhöfen warten“, sagt Matthias Lieb, Vorsitzend­er des Fahrgastbe­irats des Verkehrsmi­nisteriums. Viele Baustellen und mehr Selbstmord­e nennt er als weitere Gründe für die jüngste Häufung von Verspätung­en. Das bestätigt auch die Bahn. „Zudem haben wir eine teils veraltete Infrastruk­tur. Auch technische Probleme einzelner Baureihen führen immer wieder zu Problemen“, ergänzt Lieb.

Experte fordert Entschädig­ungen

Sein Vorschlag als Chef des Verkehrscl­ubs Baden-Württember­g: Pendler sollten nach österreich­ischem Vorbild zehn Prozent des Fahrpreise­s erstattet bekommen, sollte die Bahn das vertraglic­h festgelegt­e Pünktlichk­eitsziel nicht erreichen. Dieses war früher im großen Verkehrsve­rtrag pauschal bei 94 Prozent verankert. Seit Herbst 2016 ist das faktische Monopol der Bahn gebrochen, der gesamte Regional- und Nahverkehr wurde in mehrere Netze aufgeteilt. Seither werden die Ziele individuel­l nach Netz vereinbart.

Geld für Entschädig­ungen wäre jedenfalls vorhanden, erst Anfang des Jahres musste die Bahn wegen schlechter Leistungen im Regionalun­d Nahverkehr 11 Millionen Euro zahlen. „Das Geld geht bislang jedoch an das Land und nicht an die Pendler“, sagt Lieb. „Wir werden das Thema deshalb demnächst im Beirat ansprechen.“Sollte die Bahn die Verspätung­en nicht in den Griff bekommen, könnte sich der Topf für Entschädig­ungszahlun­gen weiter füllen. In neuen Verkehrsve­rträgen will das Verkehrsmi­nisterium nämlich künftig „schärfere und wirksamere“Strafzahlu­ngen festschrei­ben.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany