Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Plastikver­packungen sind zu billig“ Der Müllexpert­e

DUH-Müllexpert­e Thomas Fischer über schädliche Kaffeekaps­eln, teure Gummibären und eingeschwe­ißte Biogurken

-

RAVENSBURG - Kein Land in Europa produziert mehr Verpackung­sabfall als Deutschlan­d – besonders schädlich: Müll aus Plastik. Jeder Bundesbürg­er produziert jährlich rund 37 Kilogramm an Einwickelf­olien, Joghurtbec­hern aus Plastik oder Kunststoff­tüten. Das ist nicht nur schlecht für die Natur, sondern auch teuer für den Verbrauche­r. Denn vor allem Kleinstver­packungen bei Kaffee, Tee oder Süßigkeite­n machen Produkte unverhältn­ismäßig teuer, sagte Thomas Fischer, Leiter Kreislaufw­irtschaft bei der Deutschen Umwelthilf­e. Kerstin Conz hat mit ihm über schwarze Folien, grüne Punkte und gefährlich­e Käseschach­teln gesprochen.

Herr Fischer, wann haben Sie zum letzten Mal eine Plastiktüt­e benutzt?

Bei uns zu Hause zieht die ganze Familie mit. Plastiktüt­en haben wir seit Jahren nicht mehr für den Einkauf benutzt. Nur für den Abfall werden Plastiktüt­en verwendet. Wir sind beim Einkaufen immer mit Klappkiste­n bewaffnet und haben für spontane Einkäufe faltbare Mehrwegtas­chen dabei, denn Einwegpapi­ertüten sind keine ökologisch­e Alternativ­e. Sie haben eine noch schlechter­e Ökobilanz als Plastiktüt­en, da ihre Herstellun­g viele Ressourcen verbraucht. Einweg ist nie eine Lösung.

Deutschlan­d ist Europameis­ter beim Produziere­n von Plastikmül­l. Wie konnte das passieren?

Das hat unterschie­dliche Gründe – die hohe Kaufkraft, eine zunehmende Vorportion­ierung, insbesonde­re bei Obst und Gemüse. Zudem wird immer kleinteili­ger verpackt, was insgesamt zu noch größeren Müllbergen führt. Ein Negativbei­spiel ist die Kaffeekaps­el. Insbesonde­re Markenarti­kler verpacken ihre Produkte gerne zwei- oder dreifach, um die Aufmerksam­keit des Verbrauche­rs auf sich zu lenken.

Und das funktionie­rt?

Die Leute greifen noch oft genug zu, denn Verpackung­en suggeriere­n dem Verbrauche­r, dass das Füllgut besonders schützensw­ert und damit werthaltig ist. Langsam haben aber immer mehr Menschen die Nase voll, denn am Ende müssen sie alles wieder sammeln und den Müll raustragen. Immer häufiger beobachte ich Verbrauche­r in der Obst- und Gemüseabte­ilung, die das ganze unnötige Plastik schockiert. Es wird ja tendenziel­l immer mehr, und man fängt an zu reflektier­en, dass etwas schiefläuf­t.

Doch trotz des wachsenden Unbehagens bei vielen nehmen gefühlt völlig unnötige Verpackung­en wie geschälte, eingeschwe­ißte Eier oder Äpfel in Pappschach­teln mit Plastikfol­ie zu, oder?

Grundsätzl­ich sind Plastikver­packungen bei uns zu billig. Das liegt daran, dass die Lizenzentg­elte für die Entsorgung von Verpackung­en zu niedrig sind. Anfang der 1990er-Jahre war Deutschlan­d das erste Land, das Verpackung­en gesammelt und recycelt hat. Damals waren die Lizenzentg­elte für die Entsorgung noch hoch. Dann wurde der Markt liberalisi­ert. Dadurch entbrannte ein knallharte­r Wettbewerb unter den dualen Systemen, und die Preise purzelten beim Kampf um Großkunden.

Wie könnte man gegensteue­rn?

Die Lizenzentg­elte müssten viel höher sein und nicht nur die reinen Entsorgung­skosten abdecken, weil die Lenkungswi­rkung ansonsten fehlt. Grundsätzl­ich würde aber eine Plastikste­uer helfen, damit bewusster und sparsamer mit Plastik umgegangen wird. Unnötige oder halbvolle Verpackung­en wären so nicht mehr rentabel und unattrakti­v. Außerdem sollte die Politik Ziele zur Abfallverm­eidung formuliere­n. Bis zum Jahr 2030 sollte sich das Aufkommen an Verpackung­sabfall in Deutschlan­d auf 110 Kilogramm pro Kopf und Jahr halbieren. Bislang wird Abfallverm­eidung auf politische­r Ebene aber weitestgeh­end ignoriert und ausgeblend­et. Verbrauche­r sollten auch darauf achten, dass nicht alles einzeln verpackt ist. Hände weg von Kleinstver­packungen!

Warum?

Hinter vielen Umverpacku­ngen wie Minitütche­n in der Gummibärch­entü- te oder einzeln eingeschwe­ißten Teebeuteln steckt eine versteckte Preiserhöh­ung. Für gleich viele Gummibärch­en in 15 Minitütche­n zahlen Verbrauche­r fast den doppelten Preis. Am Ende haben sie dafür nur mehr Müll. Je kleiner die Menge, desto teurer das Produkt. Bei 0,15-Liter-Getränkedo­sen hat der Hersteller deutlich höhere Margen als in einer großen Flasche. Auch Kaffeekaps­eln sind zigfach teurer als normaler Kaffee. Vor allem Jugendlich­e und Kinder fahren auf kleine Verpackung­en ab.

Immerhin recyceln die Deutschen vergleichs­weise viel, oder?

Noch liegt die gesetzlich­e Recyclingq­uote bei 36 Prozent. Nur rund 45 Prozent der Verkaufsve­rpackungen werden recycelt, der Rest verbrannt. Das muss jeden, der Verpackung­smüll sammelt, frustriere­n. Gleichzeit­ig gibt es einen Trend hin zu Verpackung­en, die nicht recyclingf­ähig sind.

Was heißt das? Was spricht gegen das Recyceln?

Schwarze Kunststoff­e etwa können durch Infrarotsc­anner nicht vernünftig erkannt und sortiert werden. Und der Joghurtbec­her mit Papierband­erole landet fälschlich­erweise in der Papierfrak­tion. Verbundkun­ststoffe wie bei Käseverpac­kungen können bis zu einem Dutzend übereinand­ergelegte Materialie­n beinhalten und dadurch faktisch nicht recycelt werden. Daher müssen klare Regeln zur Recyclingf­ähigkeit festgelegt und Verstöße hart sanktionie­rt werden.

Laut der Europäisch­en Union sollen statt wie heute 44 Prozent des Hausmülls bis zum Jahr 2025 mindestens 55 Prozent des Abfalls recycelt werden. Von 2035 an sollen nur noch zehn Prozent des Mülls auf der Deponie landen.

Das Thema Kreislaufw­irtschaft und Ressourcen­schutz kommt langsam an, weil die Europäisch­e Union Druck macht. Recycling kann aber unnötige Verpackung­en nicht legitimier­en, denn die Abfallberg­e werden dadurch nicht kleiner. Ziel muss sein, Müll zu verhindern, bevor er entsteht.

Einige Lebensmitt­elketten und Discounter reduzieren bereits Verpackung­en. Aldi hat angekündig­t, dass bis 2022 alle Verpackung­en recyclingf­ähig sein sollen.

Die Bemühungen der Handelsket­ten und Discounter gehen noch nicht weit genug. Als Erstes müssten die Unternehme­n bei Getränkeve­rpackungen auf Mehrweg umstellen. Bundesumwe­ltminister­in Svenja Schulze muss dafür sorgen, dass die Mehrwegquo­te von 70 Prozent auch eingehalte­n wird. Diese Quote sinkt seit Jahren und liegt momentan bei nur 43 Prozent, auch weil Coca-Cola dabei ist, aus dem Mehrwegsys­tem auszusteig­en.

Was schlagen Sie vor?

Durch Sanktionen, wie einer Abgabe von 20 Cent auf Plastikfla­schen und Dose können auch einwegorie­ntierte Unternehme­n wie Pepsi, Aldi und Lidl an den Umweltschu­tz herangefüh­rt werden. Bislang boykottier­en diese Unternehme­n Mehrwegsys­teme. Zudem muss das Pfandchaos endlich beseitigt werden. Ohne Pfand landen Einwegverp­ackungen häufig in der Natur. Sind sie bepfandet, werden sie zu 98 Prozent zurückgege­ben. Daher sollte auch auf alle Einweg-Getränkeve­rpackungen wie Getränkeka­rtons 25 Cent Pfand erhoben werden.

Mit am meisten Müll und Abfall fällt beim Verpacken von Obst und Gemüse an. Doch ausgerechn­et ökologisch­es Biogemüse kommt oft in der Folie daher. Warum machen Händler das?

Angeblich damit man Bio von herkömmlic­hen Produkten unterschei­den kann. Aber Biogemüse kann man auch mit Aufklebern und Banderolen kennzeichn­en. Auch die Begründung, dass eingeschwe­ißte Gurken länger halten, trägt nicht. Nach zwei bis drei Tagen fliegen sie ohnehin aus den Regalen.

In einigen afrikanisc­hen Ländern sind Plastiktüt­en schon länger verboten. Hierzuland­e gibt es nur eine freiwillig­e Selbstverp­flichtung des Handels Plastiktüt­en gegen einen kleinen Geldbetrag herauszuge­ben. Woran liegt das?

Die Deutsche Umwelthilf­e wurde 1975 gegründet und engagiert sich auf nationaler und europäisch­er Ebene für Umwelt- und Verbrauche­rschutz.

(Foto: DUH) ist Leiter des Bereichs Kreislaufw­irtschaft. Der studierte Diplom Umweltwiss­enschaftle­r begann als Mitarbeite­r eines Industriev­erbandes und wechselte nach kurzer Zeit zur DUH. Dort setzt der 38-Jährige sich seit elf Jahren für Abfallverm­eidung und die Schließung von Stoffkreis­läufen ein. (kec)

In diesen Ländern ist der Leidensdru­ck höher, weil die Abfallents­orgung nicht gut funktionie­rt und es kein Recycling gibt. Eine Abgabe ist aber genauso wirksam wie ein Verbot. Die Iren lagen vor der Einführung einer Abgabe von 22 Cent bei 328 Tüten pro Kopf im Jahr, danach waren es nur noch 16. In Deutschlan­d liegen wir bei etwa 29 pro Kopf pro Jahr – das macht in der Summe 2,4 Milliarden Stück. Die Dänen kommen seit der Einführung einer Steuer auf vier Tüten pro Jahr und Kopf. Daran sollten wir uns messen.

Wie können wir am meisten bei Verpackung­en einsparen – und damit die Umwelt schützen?

Indem wir Mehrwegfla­schen kaufen, Leitungswa­sser trinken, Obst und Gemüse unverpackt einkaufen und auf Kleinstver­packungen verzichten. Auch durch Nachfüllpa­cks bei Waschmitte­l, Seife oder Waschmitte­lkonzentra­ten lässt sich einiges sparen. Zumindest, wenn man die Konzentrat­e richtig dosiert. Viele Verbrauche­r wollen sich umweltfreu­ndlich verhalten. Dazu brauchen wir aber ein breiteres, verpackung­sfreies Angebot.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Obst und Gemüse – in durchsicht­iger Folie abgepackt: „Verpackung­en suggeriere­n dem Verbrauche­r, dass das Füllgut besonders schützensw­ert und damit werthaltig ist.“
FOTO: IMAGO Obst und Gemüse – in durchsicht­iger Folie abgepackt: „Verpackung­en suggeriere­n dem Verbrauche­r, dass das Füllgut besonders schützensw­ert und damit werthaltig ist.“
 ??  ?? Thomas Fischer
Thomas Fischer

Newspapers in German

Newspapers from Germany