Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Zeitreise in den Kalten Krieg
„Deutschland 86“: Weniger reißerisch, aber nicht so spannend wie der Vorgänger
Ausgerechnet eine Serie über das geteilte Deutschland spaltete vor drei Jahren die Nation: Kritiker waren begeistert von „Deutschland 83“, das RTL-Publikum jedoch konnte sich nicht recht für die Thrillerserie über einen Stasiagenten bei der Bundeswehr erwärmen. Die Einschaltquoten blieben unter den hochgesteckten Erwartungen, die Fortsetzung „Deutschland 86“läuft deshalb statt bei RTL beim Streamingdienst Amazon Prime. Dort ist die zehnteilige zweite Staffel des prestigeträchtigen Projekts ab Freitag, 19. Oktober, zu sehen.
Im Mittelpunkt steht erneut der DDR-Spion Martin Rauch (Jonas Nay), Deckname „Kolibri“. Seit den turbulenten Ereignissen der ersten Staffel, in der nur knapp der Dritte Weltkrieg verhindert wurde, versteckt er sich in einem angolanischen Kinderheim. Dort stöbert ihn seine Tante Lenora (Maria Schrader) auf, die für den maroden Arbeiterund Bauernstaat Devisen beschaffen soll, indem sie der südafrikanischen Armee trotz eines UN-Embargos gegen das Apartheid-Regime Waffen verkauft. Dazu benötigt sie Martins Hilfe. Der sabotiert den skrupellosen Deal zunächst aus moralischen Gründen. Aber als ihm klar wird, dass er nur durch seine Mitarbeit wieder nach Hause zu seinem kleinen Sohn kommt, kooperiert er.
„Deutschland 86“ist bis in die Nebenrollen hochkarätig besetzt. So spielt Anke Engelke eine Devisenbeschafferin der DDR, eine linientreue Funktionärin, die den Sozialismus mit kapitalistischen Methoden retten will. Das Land steht am Rand der Pleite und tut alles, um an Geld zu kommen. Im Auftrag eines westdeutschen Pharmaherstellers wird etwa eine lukrative Medikamentenstudie an ahnungslosen DDR-Bürgern unternommen. Als die Medizinerin Tina Fischer (Fritzi Haberlandt) das Experiment nach mehreren Todesfällen abbrechen will, landet sie in Stasihaft. Florence Kasumba, die demnächst als erste schwarze „Tatort“-Kommissarin an der Seite von Maria Furtwängler zu sehen sein wird, spielt eine Geheimagentin der südafrikanischen Freiheitsbewegung ANC, die gegen die Apartheid kämpft – unterstützt vom Auslandsgeheimdienst der DDR.
Die Story von „Deutschland 86“(Regie: Florian Cossen und Arne Feldhusen) ist vor einem hochkomplizierten politischen Hintergrund angesiedelt. Es geht darum, dass der Zusammenbruch der DDR seine Schatten vorauswirft, und um die weltweiten Auswirkungen des Konflikts zwischen Kommunismus und Kapitalismus. Verglichen mit der ersten Staffel „Deutschland 83“, die mit ihrer stark auf Spannungsmomente fokussierten Story auch aufs RTL-Publikum schielte, ist die zweite Staffel zwar viel erwachsener und komplexer, aber längst nicht so packend. Für den nötigen Zeitgeist sorgen neben einem poppigen 1980erJahre-Soundtrack auch diverse Verweise auf Boris Becker, die Kultserie Dallas oder Ereignisse wie die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Die Fortsetzung des Politthrillers ist schon beschlossene Sache, dieser Tage hat Amazon grünes Licht für die dritte Staffel „Deutschland 89“gegeben, die sich um den Mauerfall drehen soll.