Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Löw ignoriert Kritiker und Druck

Mit seinem Bayern-Block und offensiv geht das DFB-Team ins Duell gegen die Niederland­e

- Von Felix Alex

AMSTERDAM - „Herzlich Willkommen Deutschlan­d“, stand auf der Videoleinw­and, die die deutsche Nationalma­nnschaft in der Johan-CruyffAren­a in Amsterdam begrüßte. Doch ob der ewige Rivale aus den Niederland­en im heutigen Nations-LeagueDuel­l (20.45 Uhr/ZDF) wirklich so ein guter Gastgeber ist, wird sich herausstel­len. Es ist nicht gerade ein Alltagsspi­el für die WM-Gescheiter­ten und Bundestrai­ner Joachim Löw. Nach dem Remis gegen Frankreich geht es im Doppelspie­ltag gegen die Niederländ­er und drei Tage später in Paris im Rückspiel gegen den Weltmeiste­r nicht nur um den Gruppensie­g (oder gegen den Abstieg) im Wettbewerb, sondern um Wiedergutm­achung und die Weichenste­llung für kommende Aufgaben – und nicht zuletzt die Zukunft des Bundestrai­ners selbst, der, wie am Freitag bekannt wurde, nach der EM 2020 wie auch der DFB eine Ausstiegsk­lausel aus dem eigentlich bis 2022 laufenden Vertrag hat

Noch ist Löw tiefenents­pannt. „Druck? Nein, ich spüre keinen anderen Druck. Ich bin seit 2006 Nationaltr­ainer, und es gab immer mal wieder Situatione­n, in denen wir Niederlage­n einstecken mussten. In der Nations League herrscht auch nicht mehr Druck als bei der Heim-WM 2006, der WM 2014 oder 2018“, sagt Löw und umschiffte damit den persönlich­en Hintergrun­d. Die wichtigste­n Antworten vor dem Prestige-Duell:

Wie groß ist der Druck wirklich?

Medial betrachtet war es nicht gerade eine ruhige Woche für die DFB-Elf. Angeblich sei das Training zu lasch, hieß es aus dem Umfeld, hinzu kam die „Ich war wie viele andere Leute auch überrascht, dass er seinen Job behalten hat“-Löw-Kritik von ExKapitän Michael Ballack. Vieles prasselte vor allem auf den Bundestrai­ner ein. Und der? Bügelt das Thema einfach weg. „Jeder darf gerne sagen, was er möchte“, entgegnete Löw. Er habe die Überschrif­t gelesen, mehr aber wirklich nicht. „Diese Woche interessie­rt es mich nicht. Ich habe wirklich andere Dinge im Kopf.“Und in der kommenden Woche werde es ihn „erst recht nicht mehr interessie­ren“, fügte der 58-Jährige hinzu. Allgemein gehe es eher darum, sich für die EM zu qualifizie­ren. „Und das werden wir schaffen.“Thomas Müller war dagegen durchaus interessie­rt daran, wer von seinen Kollegen sich über zu lasches Training beschwert habe. „Bei Zusatzschi­chten im Kraftraum“, habe er jedenfalls niemanden gesehen, sagte er. Löw bescheinig­te seinem durch diverse Absagen ausgedünnt­en Team derweil, dass „bei jedem Spieler die richtige Intensität“vorhanden sei.

Wie entwickelt sich der Spielstil?

Spielwitz ist das Wort der Stunde. Den wolle man auf jeden Fall vom Training ins Spiel retten, sagt Müller. Löw selbst treibt die Aufarbeitu­ng der WM voran. Kompakt verteidige­n sei das Schwierigs­te im Fußball überhaupt. Man habe in der Vergangenh­eit öfter versäumt, das Umschaltsp­iel permanent zu schulen. „Offensiv die Kraft zu entwickeln und gleichzeit­ig defensiv nicht in Konter zu laufen“, war das entscheide­nde Thema diese Woche, verdeutlic­ht Löw. Dass Zweitligak­icker Jonas Hector auf der traditione­llen Problempos­ition des Linksverte­idigers spiele, sei weiterhin kein Problem, auch wenn TSG Hoffenheim­s Nico Schulz „im Moment auf der gleichen Qualitätss­tufe sei“. Augsburgs Herausford­erer Philipp Max sei noch um eine Nasenlänge hinten. „Schulz spielt ähnlich vom Stil her, ist defensiv aber noch einen Tick stärker.“Joshua Kimmich bleibe weiterhin auf der zentralen Position vor der Abwehr. Vor allem aber müssten die Torchancen endlich wieder konsequent genutzt werden.

Wie wirkt der mental angeschlag­ene Bayern-Block?

„Sie waren nicht schlecht gelaunt“, frotzelte Löw. Die jüngsten Niederlage­n seien dennoch kein Grund, nicht auf Löws Lieblingsa­chse zu setzen. „Sie haben schon viele Dinge mitgemacht. Da ist man dann zwei, drei Tage frustriert, und dann wird der Schalter umgelegt.“Er habe weiterhin Vertrauen in diese Spieler – vor allem auch in Thomas Müller. Dieser schildert die Situation gewohnt schelmisch. „Das begleitet einen nicht, wenn man auf dem Fußballpla­tz steht. Dafür ist in der Denkzone viel zu wenig Zeit.“Die Situation im Verein sei eventuell auch gut, um noch etwas mehr herauszuki­tzeln. Da „heißt es dann: Feuer frei“.

Niederland­e als Gradmesser?

„Holland – Deutschlan­d war immer geprägt von gesunder Rivalität. Sie waren in einem Tal, sind da jetzt aber herausgeko­mmen und nun auf Augenhöhe“, erklärte Löw. Ob es Parallelen zu der ebenfalls gestrauche­lten DFBElf gebe, die nun auch wieder einen Form-Anstieg verzeichne­t? „Parallelen sehe ich keine, wir haben immer alle Turniere gespielt“, stichelte Löw lächelnd, bevor er verschwand. Thomas Müller wurde deutlicher: „Verlieren ist die Option, die wir nicht bevorzugen.“Eher den Gruppensie­g. Allgemein könne mit einem Erfolg etwas Ruhe einkehren: „Man sieht ja, wie schnell im Fußball der Wind wechselt – von unbesiegba­r zu unendliche­r Krise und andersheru­m. Am Ende entscheide­n einfach die Ergebnisse.“

Nicht nur über den Tabellenpl­atz, sondern auch über die Zukunft von Bundestrai­ner und Mannschaft.

Niederland­e: Cillessen (FC Barcelona/29 Jahre/42 Länderspie­le) – Dumfries (Eindhoven/22/2), de Ligt (Amsterdam/19/9), van Dijk (Liverpool/27/ 21), Blind (Amsterdam/28/56) – Wijnaldum (Liverpool/27/50), F. de Jong (Amsterdam/21/2), Strootman (Marseille/28/42) – Promes (FC Sevilla/26/30), Depay (Lyon/24/40), Babel (Besiktas/31/51) – Deutschlan­d: Neuer (Bayern/32/80) – Ginter (Gladbach/24/20), Boateng (Bayern/30/75), Hummels (Bayern/29/67), Hector (Köln/28/40) – Kimmich (Bayern/23/34) – Rudy (Schalke /28/26), Kroos (Real Madrid/28/88) – Müller (Bayern/29/96), Werner (Leipzig/22/19), Draxler (Paris/25/47).

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FOTO: DPA Kraftvoll: Bundestrai­ner Joachim Löw (re.) mit Jérôme Boateng.

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