Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Riskantes Malefiz

- Von Markus Glonnegger

Früher fing der Sonntag samstags an. Das war, wenn in der Waschküche (moderne Badezimmer waren selten) das Wasser im Waschkesse­l durch den Holz- und Kohleofen erhitzt und in die ausladende Badewanne mit den gekrümmten Beinen geschöpft worden ist. Dort wurden, während die Kirchenglo­cken den Sonntag einläutete­n, mehrere Kinder gleichzeit­ig, gerne auch aus der Nachbarsch­aft, mit der Wurzelbürs­te gründlich gesäubert. Das getrübte Badewasser diente anschließe­nd zum Blumengieß­en oder Schrubben von Hausgang und Haustreppe. Blitzsaube­r erschienen die Kids zum abendliche­n Vesper, dufteten nach Kernseife und durften abends, sofern sie nicht zu sehr miteinande­r gestritten hatten, Peter Frankenfel­d oder Hans Joachim Kuhlenkamp­ff sehen. Gelegentli­ch erlaubte ein Vater sogar das Aktuelle Sportstudi­o um 22 Uhr mit Harry Valerien oder Rainer Günzler.

Sonntagmor­gens erfüllten der Geruch von Bohnenkaff­ee, Kerzen und Zopfbrot das Haus wie auch Klänge des Morgenkonz­ertes des Südwestfun­ks und das Klirren des Geschirrs, war’s doch freiwillig­e Pflicht der Kids, das Frühstück anzurichte­n. Weniger freiwillig waren Sonntagskl­amotten, Kirchgang, Spaziergan­g und nachmittäg­liche Verwandten­besuche.

Gelegentli­ch drohte am Sonntagnac­hmittag Langeweile. Bestes Rezept dagegen war ein Ravensburg­er Spiel: Memory, Deutschlan­dreise, Fang den Hut. Mit Risiken verbunden war das Malefizspi­el. Wechselnde, instabile Koalitione­n zwischen Familienmi­tgliedern und der regelkonfo­rme Schlagzwan­g in den letzten Reihen vor dem Ziel führten zu Konflikten, die mitunter einen harmonisch­en Ausklang des Sonntags verhindert­en.

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