Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Riskantes Malefiz
Früher fing der Sonntag samstags an. Das war, wenn in der Waschküche (moderne Badezimmer waren selten) das Wasser im Waschkessel durch den Holz- und Kohleofen erhitzt und in die ausladende Badewanne mit den gekrümmten Beinen geschöpft worden ist. Dort wurden, während die Kirchenglocken den Sonntag einläuteten, mehrere Kinder gleichzeitig, gerne auch aus der Nachbarschaft, mit der Wurzelbürste gründlich gesäubert. Das getrübte Badewasser diente anschließend zum Blumengießen oder Schrubben von Hausgang und Haustreppe. Blitzsauber erschienen die Kids zum abendlichen Vesper, dufteten nach Kernseife und durften abends, sofern sie nicht zu sehr miteinander gestritten hatten, Peter Frankenfeld oder Hans Joachim Kuhlenkampff sehen. Gelegentlich erlaubte ein Vater sogar das Aktuelle Sportstudio um 22 Uhr mit Harry Valerien oder Rainer Günzler.
Sonntagmorgens erfüllten der Geruch von Bohnenkaffee, Kerzen und Zopfbrot das Haus wie auch Klänge des Morgenkonzertes des Südwestfunks und das Klirren des Geschirrs, war’s doch freiwillige Pflicht der Kids, das Frühstück anzurichten. Weniger freiwillig waren Sonntagsklamotten, Kirchgang, Spaziergang und nachmittägliche Verwandtenbesuche.
Gelegentlich drohte am Sonntagnachmittag Langeweile. Bestes Rezept dagegen war ein Ravensburger Spiel: Memory, Deutschlandreise, Fang den Hut. Mit Risiken verbunden war das Malefizspiel. Wechselnde, instabile Koalitionen zwischen Familienmitgliedern und der regelkonforme Schlagzwang in den letzten Reihen vor dem Ziel führten zu Konflikten, die mitunter einen harmonischen Ausklang des Sonntags verhinderten.