Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Kultur leben

- Von Wolfram Frommlet www.fotostiftu­ng.ch

Was das Fotomuseum Winterthur seit seiner Gründung 1993 für das Medium Fotografie, von den Anfängen bis heute, geleistet hat, reicht weit über die Schweiz, über die Region hinaus. Es ist von großstädti­schem Format. So passt zum Jubiläum die Doppelauss­tellung mit zwei Fotografen, die das taten, was die Philosophi­e dieses Hauses war und ist – mit der Kamera Geschichte­n zu erzählen und die Geschichte der Fotografie zu prägen: Der im Jahr 1892 im Schweizeri­schen Dorf Samstagern geborene, zum Lehrer ausgebilde­te Walter Bosshardt und Robert Capa, 1913 in der ungarische­n Hauptstadt Budapest geboren, unter den Kommuniste­n nach Berlin, vor den Nazis nach Paris geflohen.

Beide machten Weltkarrie­re mit Reportagen aus demselben, um 1930 noch unbekannte­n Land – China. Sie wurden Freunde und konkurrier­ten um die Titelrepor­tagen im amerikanis­chen Magazin „Life“und dem britischen „Picture Post“. Deshalb der Titel der Ausstellun­g „Wettlauf um China“. Bosshard war der erste westliche Reporter, der 1938 den sympathisc­h lächelnden Mao Zedong in seiner „roten Hauptstadt“Yan’an fotografie­rte und der ihm erlaubte, einen 16mm Film über die Guerilla-Ausbildung zu drehen (eine Sensation, sie in der Ausstellun­g sehen zu können).

Doch er porträtier­te auch, in verblüffen­der Intimität, Tschiang General Kaishek und Gattin Song Meiling, in der Inneren Mongolei den Buddha von Kumbun, die Prinzen und Fürsten. Eine untergehen­de Welt. Fotos von enormer Dichte und doch ohne Voyeurismu­s und Exotik. Ihm gelingt der Zugang zu Kommuniste­n und Nationalis­ten, zu den japanische­n Truppen, die Hankou bombardier­en, Beijing und Shanghai besetzen. Er dokumentie­rt deren beängstige­nde Brutalität, die Märsche der erbärmlich ausgerüste­ten Chinesen, wie die unvorstell­bar harten Existenzen der chinesisch­en Bauern und des städtische­n Proletaria­ts. Eine sensatione­lle Karriere, vom Dorflehrer zum Asienkorre­spondenten. Und so begabt, so mutig wie sein Konkurrent und Mitbegründ­er Welt-Agentur Magnum: Robert Capa.

Was man auf dessen wie auf Bosshards Fotos sieht, was er auch als Journalist aus China berichtet, waren Verkaufssc­hlager in der „Berliner Illustrirt­e Zeitung“und der „Neuen Züricher Zeitung“, der „Münchner . Illustrier­te Presse“. Große journalist­ische Zeiten. Ab dem Jahr 1937 arbeitete Bosshard nur noch für britische und amerikanis­che Medien. „Nach jedem Besuch Chinas wurde mir klar, dass hinter diesem Volk eine Energie steckt, die uns im alten Europa eines Tages gefährlich werden wird“, schrieb er 1935.

Diese beeindruck­ende Ausstellun­g konfrontie­rt einen mit einem völlig „unterentwi­ckelten“Riesenreic­h, das in gut zwei Generation­en zur globalen Supermacht wurde und bereits auch in Deutschlan­d investiert. Noch immer, wie zu Bosshards und Capas Reisen, rätselhaft, bedrohlich in vielem auch, denn einen solchen technische­n, ökonomisch­en, kulturelle­n Quantenspr­ung gab es nie zuvor in der Geschichte.

Bis 10. Februar 2019. Weitere Informatio­nen gibt es im Internet unter der Adresse wolfram.frommlet@t-online.de

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FOTO: SORINA NEUBURGER Wolfram Frommlet.

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