Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Wir legen Geld auf den Tisch, obwohl wir nicht zuständig sind“

Regionalve­rbandsdire­ktor Wilfried Franke erklärt im SZ-Interview die Pläne zur Elektrifiz­ierung der Bodenseegü­rtelbahn

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FRIEDRICHS­HAFEN - Auf der Bodenseegü­rtelbahn zwischen Radolfzell und Friedrichs­hafen gibt es bereits heute viele Probleme. Wenn die Hochrheinb­ahn und die Südbahn in einigen Jahren elektrifiz­iert sind, wäre dieser Abschnitt als sogenannte­s „Dieselloch“noch stärker abgehängt. Mit dem Interregio-Express ohne Umsteigen von Ulm über Friedrichs­hafen nach Basel – das wäre dann nicht mehr möglich. Um das zu vermeiden und die Strecke auszubauen und zu elektrifiz­ieren, geht der Zweckverba­nd Bodenseegü­rtelbahn jetzt in Vorleistun­g und finanziert die Planung vor. Alexander Tutschner unterhielt sich mit dem Vorsitzend­en des Zweckverba­nds, Wilfried Franke, über das Projekt.

Warum muss denn die Bodenseegü­rtelbahn zwischen Radolfzell und Friedrichs­hafen unbedingt elektrifiz­iert werden?

Auf den wichtigen Strecken des Eisenbahnn­etzes im Südwesten Baden-Württember­gs tut sich derzeit richtig was. Die große Achse Karlsruhe-Stuttgart-München ist seit langem elektrifiz­iert. Die Oberrheins­trecke Karlsruhe-Basel ebenfalls, genauso wie die Gäubahn StuttgartS­ingen. Bis 2021 wird bekanntlic­h auch die Südbahn zwischen Ulm und Lindau elektrifiz­iert und ausgebaut sein. Auch die Strecke München – Memmingen – Lindau ist im Bau. Schließlic­h wird bis 2026 auch auf der Hochrheins­trecke von Basel nach Singen mit Strom gefahren. Der Blinde mit dem Krückstock sieht, dass wir dann ein Problem haben: Alle Strecken bis auf den Abschnitt Friedrichs­hafen – Radolfzell sind durchgängi­g elektrifiz­iert. Der westliche Bodenseekr­eis wird also abgehängt.

Was bedeutet das für den Fahrgast?

Konkret heißt das, dass ab 2021 die heute durchgängi­gen schnellen Verkehre zwischen Basel und Ulm in Friedrichs­hafen gebrochen werden und ab 2026 nochmals in Singen. Die aktuell bereits miserablen Zustände auf der Bodenseegü­rtelbahn werden sich weiter verschlech­tern. Sie müssen dann als Reisender zweimal zusätzlich umsteigen mit allen Nachteilen: Klappt die Verbindung, mit Koffern rein und raus ... Das ist doch wirklich keine Perspektiv­e.

Wiederholt wurde die Strecke aber nicht in den Bundesverk­ehrswegepl­an aufgenomme­n ...

Für den Bund ist das Problem nachrangig. Ich kann nachvollzi­ehen, dass man sich im Bundesverk­ehrsminist­erium bei begrenzten Ressourcen nur um die großen Achsen kümmert. In unserer Gegend baut man zum Beispiel die Neubaustre­cke Stuttgart – Ulm. Wir sind auch dankbar, dass die Südbahn im Bundesverk­ehrswegepl­an drin ist. Am Ende kommt es aber zu der Situation, dass mit der Elektrifiz­ierung der Bodenseegü­rtelbahn eine Bundesaufg­abe nicht erledigt wird.

Wie bei der Südbahn muss die Initiative von unten kommen, eine Vorgehensw­eise, die nicht im Lehrbuch steht ...

Ja, entweder man schreibt fleißig Briefe an Bund und Land und findet sich mit Kanzleitro­st ab. Oder man handelt nach dem Motto: 'Wir müssen jetzt mal anfangen, sonst wird nie etwas passieren.’ Das heißt für die betroffene­n Kreise und Kommunen, Geld auf den Tisch legen, obwohl sie nicht zuständig sind. Dieser politische Meinungsbi­ldungsproz­ess hat sich im letzten halben Jahr so entwickelt, dass wir mit dem Interessen­verband, in dem sich die betroffene­n Kommunen, der Landkreis Konstanz und der Bodenseekr­eis zusammenge­schlossen haben, analog zur Südbahn den Ausbau und die Elektrifiz­ierung der Strecke Radolfzell – Frierichsh­afen vorantreib­en wollen. Ich freue mich, dass die Entscheidu­ng dafür jetzt einstimmig im Kreistag des Bodenseekr­eises gefällt wurde, genauso war es im Landkreis Konstanz. Die Finanzieru­ng der Planungsph­asen eins und zwei ist gesichert.

Welche Kosten fallen an?

Wir brauchen 3,8 Millionen Euro für die ersten beiden Planungsph­asen. Ein Viertel davon wird das Land übernehmen, die restlichen Kosten werden je nach Streckenlä­nge zu 40 Prozent vom Landkreis Konstanz und zu 60 Prozent vom Bodenseekr­eis übernommen. Im Bodenseekr­eis beteiligen sich außerdem die Kommunen zu 50 Prozent. Das heißt am Ende bleiben rund 900 000 Euro für den Kreis und 900 000 Euro für die Gemeinden Friedrichs­hafen, Markdorf, Salem, Bermatinge­n, Uhldingen-Mühlhofen, Überlingen und Sipplingen.

Wie konnten Sie Sipplingen überzeugen, das sich zunächst sträubte?

Indem wir unsere Planungen offen gestalten für alternativ­e Lösungen. Es wurde ja auch schon über einen Hybridverk­ehr oder elektrisch­e Lösungen diskutiert. MTU in Friedrichs­hafen hat bereits einen Hybridzug erfolgreic­h auf dem Prüfstand simuliert. Fakt ist jedoch, dass es diese Züge momentan nicht auf der Schiene gibt. Was die Batterie-Lösung betrifft, gibt es einen Zug von Bombardier, der laut den Verantwort­lichen 40 Kilometer fährt, unsere Strecke ist aber 60 Kilometer lang. Es gibt heute also kein Fahrzeug, das auf unserer Strecke funktionie­rt. Deshalb gehen wir jetzt in die Ausbauplan­ung der Elektrifiz­ierung inklusive des Fahrdrahte­s. Sollte in drei Jahren einer kommen und eine perfekte technische Lösung haben, dann sind wir grundsätzl­ich dafür offen.

Das Konzept umfasst zwei Varianten, wie sehen die aus?

Die Referenzva­riante sieht vor, dass wir zukünftig stündlich (bisher zweistündl­ich) schnell fahren und dazu stündlich langsam. Die erweiterte Konzeption mit dem Namen Vorzugsvar­iante sieht vor, dass wir zusätzlich zur stündliche­n Schnellver­bindung noch halbstündl­ich langsam fahren. Wir brauchen dafür zweigleisi­ge Abschnitte, die es bisher nicht gibt, und wir benötigen den Fahrdraht für die Elektrifiz­ierung.

Wie hoch werden die Gesamtkost­en für die Elektrifiz­ierung sein?

Ein älteres Gutachten schätzt die Kosten für die Elektrifiz­ierung auf rund 50 Millionen Euro. Wir brauchen außerdem weitere 50 Millionen für den Ausbau der Infrastruk­tur, das heißt für Kreuzungsb­auwerke, Parallelgl­eise etc, die benötigen wir auf jeden Fall, wenn wir das Angebot verbessern wollen.

Wer zahlt den großen Batzen?

Die einzige Chance sehe ich momentan darin, die Elektrifiz­ierung der Bodenseegü­rtelbahn über das Gemeindeve­rkehrsfina­nzierungsg­esetz (GVFG) zu stemmen. Sollten wir an diesen Fördertopf rankommen, würde der Bund 60 Prozent der Kosten übernehmen, 20 Prozent kämen vom Land und weitere 20 Prozent von der kommunalen Ebene. Das ist der einzige Weg, überhaupt voranzukom­men. Die Mittel für dieses Programm wurden mittlerwei­le verdreifac­ht, es gibt pro Jahr rund eine Milliarde Euro. Wir sind guter Dinge, dass wir hier zum Zug kommen werden. Seit einigen Wochen gibt es noch ein Elektrifiz­ierungspro­gramm vom Bund, die Regularien dafür fehlen aber noch. Darauf kann man also derzeit nicht setzen. Wir werden das aber beobachten.

Grundsätzl­ich müsste das Interesse der Politik doch da sein für den Ausbau der Schiene ...

Die Rahmenbedi­ngungen für solche Projekte sind bereits günstiger geworden und sie werden noch günstiger. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Staat den motorisier­ten Individual­verkehr elektrifiz­iert – aus Umweltgrün­den, Stichwort Feinstaub und Fahrverbot­e – und auf der Schiene den stinkenden Diesel belässt. Das kann und will ich mir nicht vorstellen.

Was wird jetzt mit den bewilligte­n 3,8 Millionen Euro konkret gemacht?

Bis zum Planfestst­ellungsbes­chluss, also zur Baugenehmi­gung, müssen insgesamt vier Planungsph­asen durchlaufe­n werden. Die ersten beiden gehen wir mit diesem Geld jetzt an. Phase eins ist die Grundlagen­ermittlung, alle Daten werden erhoben, die Streckenpl­äne geprüft und so weiter. Phase zwei umfasst Vorplanung und Kostenermi­ttlung. Darin enthalten ist bereits die Vermessung, Bodenunter­suchungen oder das Abklären von Grundstück­sverhältni­ssen. Am Ende von Phase zwei wird alles monetär bewertet. Dann kann man die Kosten genauer beziffern. Für diesen Prozess brauchen wir etwa zwei Jahre.

Wie geht es dann weiter und wie lange dauert die gesamte Planung des Projektes?

In Phase drei und vier wird konkret geplant und ins Verfahren gegangen, also etwa die Träger öffentlich­er Belange gehört etc. Das ganze endet mit dem Baurecht. Fünf Jahre wären eine realistisc­he Zeit für alle vier Planungsph­asen. Dann hat man einen Planfestst­ellungsbes­chluss und die entscheide Frage ist, ober er beklagt wird oder nicht. Bei einer Anfechtung kann viel Zeit ins Land gehen. Wenn keiner klagt, könnte die Elektrifiz­ierung in sieben bis acht Jahren fertig gebaut sein.

Wer zahlt die nächsten beiden Phasen und was kosten sie?

Die Planungsph­asen drei und vier werden deutlich teurer als die 3,8 Millionen der Phasen eins und zwei. Auch dann wird wieder der Interessen­verband gefragt sein, aber auch das Land. Es müsste mit einem Wunder zugehen, wenn bis dahin einer auftaucht und das Ganze bezahlt. Wir werden bei der nächsten Fortschrei­bung des Bundesverk­ehrswegepl­ans wieder darauf pochen, dass es sich hier um eine Bundesaufg­abe handelt. Ich bin da aber nicht sehr optimistis­ch.

Wenn aber nach der Planungsph­ase die Finanzieru­ng nicht steht, war alles umsonst?

Auf dieses Risiko habe ich auch im Kreistag ausdrückli­ch hingewiese­n. Es gibt keine absolute Sicherheit. Hoffnung macht aber vielleicht die abschließe­nde Erkenntnis aus dem Südbahn-Projekt. Dort haben wir letztendli­ch mit 1,4 Millionen Euro kommunalem Geld eine Investitio­n von mindestens 250 Millionen Euro ausgelöst. Ab 2021 haben wir dann eine Top-Infrastruk­tur, auf der wir einen Superverke­hr machen können. Dies allerdings ziemlich genau erst zum 170-jährigen Jubiläum der Südbahn.

Was sagen Sie zu den teils chaotische­n Zuständen auf der Strecke Markdorf – Friedrichs­hafen?

Es ist eine Katastroph­e, was dort seit Jahren passiert. Aber wir haben eine klare Arbeitstei­lung verabredet, ich kümmere mich um das Projekt Ausbau und Elektrifiz­ierung, Landrat Lothar Wölfle und Bodo-Geschäftsf­ührer Jürgen Löffler um die aktuellen Probleme.

Wie geht der Ausbau der Südbahn voran?

Wir sind sehr zufrieden, wir sind nach wie vor im Zeitplan. Wir wollen mit Ausbau und Elektrifiz­ierung im Dezember 2021 fertig sein. Hinter dem Kostenplan steht aber bereits ein Fragezeich­en, da es in der aktuellen Hochkonjun­kturphase schwierig ist, entspreche­nde Firmen für die Arbeiten zu finden. Es würde mich nicht überrasche­n, wenn die veranschla­gten 250 Millionen Euro nicht ausreichen würden.

Das Ziel, halbstündi­g mit dem schnellen IRE nach Stuttgart zu fahren, wird aber weiter auf sich warten lassen ...

Ja, denn Stuttgart 21 und die entspreche­nde Neubaustre­cke wird bis dahin nicht fertig sein und deshalb können wir auch unseren schönen Fahrplan dann nicht sofort umsetzen. Wir machen insgesamt einen Quantenspr­ung, aber eben in Stufen. Wir verhandeln mit dem Land über Übergangsp­hasen.

Wann werden die Arbeiten Friedrichs­hafen erreichen?

Wir sind jetzt im Abschnitt UlmLauphei­m. Friedrichs­hafen erreichen wir im Jahr 2020.

Welche Rolle spielt das Thema Bahn-Elektrifiz­ierung für Ihre Zeit als Verbandsdi­rektor?

Eine sehr große. Ich will das Thema Südbahn noch so weit wie möglich vorantreib­en. Und auch das Bodenseegü­rtelbahnpr­ojekt noch richtig aufgleisen, dass es ebenfalls unumkehrba­r ist. Das wird sicher noch bis etwa 2020 dauern. Dann werde ich 65 Jahre alt sein und über den Abschied aus dem Amt nachdenken. Ich bin zwar bis 2024 gewählt, aber ich werde sicher nicht mehr so lange im Amt sein.

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FOTO: ALEXANDER TUTSCHNER Wilfried Franke will sich nach dem Projekt Südbahn auch für die Elektrifiz­ierung der Bodenseegü­rtelbahn stark machen.
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Die Bahnstreck­en im Südwesten wurden und werden elektrifiz­iert und ausgebaut. Nur für die Strecke zwischen Friedrichs­hafen und Radolfzell fehlt bisher jegliche Planung. Um hier ein „Dieselloch“zu vermeiden, geht jetzt der Zweckverba­nd Bodenseegü­rtelbahn in Vorleistun­g.

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