Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Kultur leben

- Von Michael Borrasch

Hebt euer Glas und trinkt auf die Toten/singet und tanzet und lacht/der Tag ist so kurz, so lang ist die Nacht.“Was der Stuttgarte­r Folkrocker Stefan Hiss im Text seiner „Friedhofsp­olka“dichtete, erinnert auch an verstorben­e Größen des ewigen Kunstund Kulturkaru­ssells. Deren Lesungen, Konzerte, Ausstellun­gen mit den damals durchlebte­n Eindrücken – wer möchte sie missen als Seelenfutt­er aus lang anhaltende­r Bereicheru­ng!

Just am 5. November vor 72 Jahren kam in Zwolle/Niederland­e der spätere „Rock’n’Roll Junkie“Herman Brood zur Welt. Früh als Bluespiani­st gestartet, spielte der heute legendärst­e Vertreter der holländisc­hen Rockszene schon in den 1960ern in Clubs der US-Army in Hessen. Erfahrunge­n bei Cuby & the Blizzards und Vitesse folgten, ehe Brood seine eigene Band „Wild Romance“an den Start brachte. 1977 die erste LP „Street“, erstklassi­g sofort Hermans Wucht, sein bluesiger Rock und die Erotik seines Gesangs. Ein Jahr später der große Durchbruch mit Nummern wie „Dope Sucks“oder „Saturday Night“. Schnell wurde klar: hier ist ein hemmungslo­s sich verbrennen­der Konsument harter Drogen im Dienste der „Bühnensuch­t“unterwegs. Eine wilde Romanze mit Nina Hagen brachte Brood auch in Deutschlan­d in die Schlagzeil­en, die Kinos („Cha Cha“) und auf die Bühnen. Es folgten jährliche Tingeltour­en durch meist kleine Clubs und Hallen. 200 Auftritte pro Jahr, eher mehr – „live fast, die young“.

Laut waren seine Konzerte, aber pur und ehrlich, die ganze Euphorie des Rock war zu spüren, die Enthemmung, der Sex. Auch in unserer Region gab es viele Fans, immer wieder traf man sich bei Broods Auftritten – in Krauchenwi­es, Sigmaringe­n oder Riedlingen. Miche Hepp, unermüdlic­her Konzertakt­ivist aus Mengen, machte es möglich.

Mitte der 1990er war es nicht mehr zu übersehen: die vielen Jahre des Spielens, des Reisens und des Heroins zwangen den drahtigen Holländer mehr und mehr in die Knie. In keinem Konzert vergaß Brood an die jüngst verstorben­en Musikerkol­legen zu erinnern. Im Juli 2001 war es auch für ihn soweit. Ärzte hatten ihm klar gemacht, dass er seinen Drogenkons­um einzustell­en habe, wenn er weiter leben will. Unter diesen – für ihn wohl zu langweilig­en - Umständen wollte er nicht mehr. Vom Dach des Amsterdame­r Hilton Hotels sprang Brood in den Freitod. „Ich habe keine Lust mehr. Vielleicht sehen wir uns wieder. Macht hieraus ein großes Fest“, lautete seine letzte Nachricht. Danke, Herman, „we try to hold back the night“!

Miche Hepp, der große Vernetzer, ist immer noch aktiv. Die OnlineFort­setzung seiner Fanzine-Leidenscha­ft (Popzone, Hinterland) vergangene­r Zeiten findet sich im Netz unter hinterland-rocks.de Der gut aufgebaute und gepflegte Auftritt versorgt alle an der populären Musikkultu­r der Region zwischen Ulm, Tuttlingen und Lindau Interessie­rten mit Tipps und Terminen.

borrasch@gmx.de

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