Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Profiler“-Alltag hat mit Hollywood nicht viel tun
Seit 20 Jahren gibt es beim LKA die operative Fallanalyse – Auch am Bodensee sind die Experten im Einsatz
FRIEDRICHSHAFEN (jl) - In amerikanischen Filmen sind Profiler eine Art moderne Superhelden. Wenn die Ermittler der Polizei nicht mehr weiterkommen, schaffen sie es dank scheinbar übermenschlicher analytischer Fähigkeiten spielend, die kniffligsten Fälle zu lösen. Seit 20 Jahren setzt auch das Landeskriminalamt Baden-Württemberg auf solche Spezialisten. Dort heißen sie allerdings Fallanalytiker. Übermenschen sind sie nicht, eher akribische Arbeiter. Im Bodenseekreis haben sie Ermittlungen der Kriminalpolizei bislang in 14 Fällen unterstützt – unter anderem beim Taximord im Jahr 2010.
Die Vergewaltigung einer Taxifahrerin in Singen und der Mord an einer Kollegin in Hagnau nur wenige Stunden später versetzte vor acht Jahren die Bodenseeregion in Angst und Schrecken. Weil der Täter extrem brutal vorgegangen war und zunächst fliehen konnte. Aufgrund einer DNA-Spur gelang es den Ermittlern aber schnell, ihn zu identifizieren. Drei Tage später wurde er festgenommen. Trotz des schnellen Ermittlungserfolgs war die Expertise der Spezialisten der Operativen Fallanalyse beim Landeskriminalamt gefragt. „Für uns war das ein ungewöhnlicher Fall, weil wir normalerweise vor allem dann angefordert werden, wenn völlig unklar ist, wer der Täter sein könnte“, sagt Andreas Tröster, der den Arbeitsbereich der operativen Fallanalyse beim LKA 1998 mitaufgebaut hat und ihn seither leitet. Das Problem sei damals gewesen, dass der Täter sich überhaupt nicht äußern wollte. „Unsere Aufgabe war damals, den Fall möglichst rund zu machen, das heißt: Detailfragen zum Ablauf der Taten zu klären“, erklärt der 59-Jährige.
Eine ganz zentrale Frage war zum Beispiel, warum der Mann die Frau im ersten Fall sexuell missbraucht, aber nicht getötet hat – und im zweiten Fall genau andersrum handelte. Wirklich schlüssige Erklärungen gab es dafür nicht. Der psychiatrische Gutachter vor Gericht kam letztendlich zu einer ähnlichen Einschätzung wie die Fallanalytiker und bescheinigte dem Taximörder eine schwere dissoziale Persönlichkeit mit narzisstischen Zügen, eine geringe Intelligenz und eine seelische Abartigkeit. Er wurde zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe samt Unterbringung in der Psychiatrie verurteilt.
„Fakten lügen nie“
„Die Arbeit in diesem Fall war sehr detailliert, sehr komplex“, erinnert sich Andreas Tröster. Und das gilt generell für die operative Fallanalyse, die nichts mit übermenschlichen analytischen Fähigkeiten zu tun hat, sondern viel mit Akribie. Der entscheidende Unterschied zur Ermittlungsarbeit der Kriminalpolizei liegt in der Herangehensweise. Während für die Kripo auch Zeugenaussagen wichtig sind, lassen Fallanalytiker diese komplett außen vor. „Wir betrachten nur die objektiven Fakten, denn Fakten lügen nie – oder zumindest sehr selten“, sagt Tröster. Zu diesen Fakten zählen zum Beispiel Spuren am Tatort oder auch rechtsmedizinische Befunde. Die Hauptaufgabe besteht letztlich darin, so viele Informationen zu sammeln wie möglich – alles, was in irgendeiner Form eine Rolle spielen könnte – und daraus ein schlüssiges Gesamtbild zu formen, das Aufschluss über die Tat und die Persönlichkeit des möglichen Täters gibt. Dazu sei es zum Beispiel auch erforderlich, Abläufe zu rekonstruieren und dabei alle Möglichkeiten durchzuspielen – „auch die unwahrscheinlichen“, erklärt Tröster. Und auch die, die auf den ersten Blick vielleicht gar nicht so relevant erscheinen mögen.
Dass die Fallanalytiker zu einem komplett anderen Ergebnis kommen als die Kripo sei eher selten. Sehr häufig gehe es darum, aus einem anderen Blickwinkel heraus zu prüfen, ob die Ermittler auf dem richtigen Weg sind. Dass sie bisweilen in einer Sackgasse landen, können auch die Fallanalytiker nicht immer verhindern. Im Bodenseekreis war das zum Beispiel der Fall, als vor einem Jahr eine im Bau befindliche Asylbewerberunterkunft in Tettnang kurz vor der Fertigstellung gleich dreimal brannte. Die Fallanalytiker beschäftigten sich damals auch mit der Frage, ob derselbe Brandstifter am Werk war. Der Fall ist bis heute ungeklärt.