Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Tanz bei Scholastika
In der Zeit um den Jahrmarkt herum geriet ich einst mit meinem Freund Philipp an einem späten Nachmittag erstmals zu Scholastika. Sie war die Wirtin einer speziellen Gastwirtschaft am Gespinstmarkt, bot sie doch auch heimatlosen Menschen Unterkunft und zeitweiliges Asyl. Im Halbdunkel des großen Gastraumes saßen einsame Männer, auch zwei Frauen, welche keine Notiz von zwei Gymnasiasten nahmen, die sich vorgenommen hatten, ihren Schulfrust mittels zweier oder dreier Halbe Bier zu verarbeiten. Anstandslos bedient fühlten wir uns, knappe 17 Jahre alt, im Kreis der Gäste wie von der Wirtin ernst genommen.
Ungewöhnlich war, dass ein mir „vom Sehen“bekannter älterer Mann mit langen, weißen Haaren bedächtig Münzen in die Musikbox warf und zu den Klängen von „Under the boardwalk“, damals interpretiert von den Rolling Stones, mitten im Raum alleine und selbstvergessen tanzte. Es war der damals in Diensten der Stadt stehende „Brunnenputzer“, der mit Reisigbesen und Gummistiefeln ausgestattet, die Brunnen der Stadt auf dem Marienplatz, hinter dem Rathaus und anderswo säuberte. Außer uns Knaben nahm von seinem Tanz mit dem Reisigbesen in einer Hand niemand Notiz. Wir warfen dann Münzen ein für „A hard days night“und „ I’m down“von den Beatles, wozu zwar niemand tanzte, wogegen aber auch kein Gast protestierte. Es war längst dunkel, als wir uns anständig von Scholastika verabschiedeten und uns sehr erwachsen vorgekommen sind.