Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Ravensburger gedenken der Reichspogromnacht
Mehr als 200 Menschen nehmen in Erinnerung an den 9. November 1938 teil
RAVENSBURG - Mehr als 200 Ravensburger haben gestern Abend an einem Gedenkgang durch die Altstadt in Erinnerung an die Reichspogromnacht am 9. November 1938 und die Vertreibung und Ermordung der Ravensburger Juden teilgenommen.
„Nur wenige Kirchen- und Christenvertreter erhoben die Stimme“, räumte der evangelische Dekan Friedrich Langsam an der ersten Station des Gedenkgangs in Bezug auf die NS-Zeit ein. Dieser erste Ort war die Grüner-Turm-Straße, früher Judengasse genannt. Hier lebten im Mittelalter, ungefähr von 1330 an, die ersten Juden in Ravensburg, wie Stadtarchivar Andreas Schmauder am Freitagabend erläuterte. 30 bis 40 Menschen jüdischen Glaubens lebten damals in der Stadt, die zu jener Zeit rund 3000 Einwohner hatte.
Ungefähr 100 Jahre wohnten Juden in Ravensburg, bis sie aus Stadt und Region vertrieben wurden, weil man sie eines Ritualmordes bezichtigte. Nach Meinung von Historikern gab es für diese haarsträubenden Vorwürfe niemals einen Ernst zu nehmenden Beleg.
Jüdisches Leben war damit über Jahrhunderte hinweg in Ravensburg nicht mehr vorhanden. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts zogen wieder Juden nach Ravensburg, die Mehrheit davon waren Kaufleute.
Deren Zeit in der Stadt währte nicht lange. Geschäftlich erfolgreich im Kaiserreich und vor allem in der Zeit der Weimarer Republik, erfuhren diese Ravensburger das neue Terrorregime von 1933 sofort an der eigenen Haut.
Der Gedenkgang am Freitag führte daher zunächst vor das ehemalige Kaufhaus Wohlwert auf dem Marienplatz, lange Jahre die Räume von Spielwaren-Schinacher. In der Reichspogromnacht 1938 wurde das Geschäft der dort wirkenden Familie Adler demoliert, ebenso das Schuhhaus Merkur neben dem Waaghaus, später Modehaus Kekeisen. Der Eigentümerfamilie Sondermann des Hauses Merkur gelang wenige Tage nach der Pogromnacht die Flucht nach Südamerika, wo ihre Nachfahren noch heute leben.
Der katholische Stadtpfarrer Hermann Riedle schloss den Gedenkgang am Freitag mit einem Gebet. Anschließend folgte eine weitere Veranstaltung zur Reichspogromnacht vor 80 Jahren im Evangelischen Matthäus-Gemeindehaus. Der Ravensburger Historiker WolfUlrich Strittmatter stellt am Dienstag, 4. Dezember, 19.30 Uhr, im Ravensburger Wirtschaftsmuseum Band 9 der Reihe „Täter, Helfer, Trittbrettfahrer – NS-Belastete Baden-Württemberg“vor. in