Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Mit Plan B zum Studium
Wie der Flüchtling Shahm Jaweesh aus dem Irak zum Maschinenbauer werden will
EBENWEILER - Als Shahm Jaweesh 19 Jahre alt war, haben er und seine Familie beschlossen, ihre Heimatstadt Mossul und ihr Land zu verlassen. Das war 2015, Shahm hatte ein exzellentes Abitur von 1,3 in der Tasche und war seit zwei Monaten an der Universität in Mossul für Informationsund Kommunikationstechnik eingeschrieben. Aber an ein Studium war nicht zu denken.
Wochenlang konnten sie das Haus kaum verlassen, abgeschnitten von der Außenwelt, mussten sie mitansehen und -hören, wie alles um sie herum in Schutt und Asche gelegt wurde. „Als der IS in unsere Stadt kam, war niemandem mehr zu trauen. Keine Sicherheit, kein Leben, keine Perspektive“, erzählt Shahm Jaweesh. Shahm sollte als Vorhut die Fluchtroute über Syrien, das Mittelmeer bis in die Türkei auskundschaften, verlässliche Schleuser finden und dann, wenn er es tatsächlich geschafft hatte, sollten seine Mutter, die Schwägerin und ein Bruder nachkommen. Nur die Schwester blieb zurück. Und Shahm hat es geschafft.
In der Türkei wiedervereint, machte sich die Familie auf den langen Weg durch viele europäische Länder bis nach Deutschland. Sie landeten in der Erstaufnahmeeinrichtung in Sigmaringen.
Arbeit als Dolmetscher
Hier endet die Geschichte, die viele Flüchtlinge erzählen. Die von Shahm fängt jetzt erst an. Nach drei Tagen beginnt er, als Dolmetscher zu arbeiten. „Ich kann gut Englisch, und so wurde ich gefragt, ob ich helfen kann. Jeden Tag habe ich dann im Krankenhaus Sigmaringen übersetzt“, erzählt Shahm. Und er erzählt, dass er dann, nach ein paar Monaten – die Familie war inzwischen in eine Unterkunft nach Kißlegg gebracht worden –, auch für das Landratsamt Ravensburg und den Helferkreis Kißlegg als Dolmetscher gearbeitet hat. Viele Geschichten hat er in dieser Zeit gehört und so auch manche Probleme rund um die Flüchtlingspolitik hautnah mitbekommen.
Durch sein Übersetzen bei einer Fahrschule hat er sich sogar einen deutschen Führerschein ermöglicht. Die Fahrschule hatte ihm für seine Übersetzungsleitungen einen Gutschein geschenkt. „Das war eine tolle Erfahrung, und ich habe aufgepasst, dass ich auch ja nicht durchfalle! Ein Führerschein ist ja so teuer“, lacht Shahm. Und er hat gewartet in dieser Zeit, auf seinen Termin beim BAMF und auf seine Bescheide. „Im September 2016 konnte ich dann endlich mit meinem Integrationskurs mit Deutschunterricht loslegen, denn ich wollte so schnell wie möglich die deutsche Sprache erlernen“, erzählt Shahm in gutem Deutsch. Für den B2Kurs ist er dann täglich vier Stunden unterwegs gewesen, um nach Lindau und zurück zu fahren. „Alles für mein Ziel, im September 2017 hier ein Studium zu beginnen“, so Shahm.
„Und dann kam die erste Katastrophe in Deutschland“, und man sieht ihm an, dass der Schock tief gesessen haben muss. Sein irakisches Abitur wurde in Deutschland nicht anerkannt. Doch ohne Abschluss kein Studium. „Zwei Monate war ich so unendlich traurig. Aber ich habe meine wichtigste Lektion daraus gelernt: In Deutschland musst du immer einen Plan B haben“, so Shahm.
Er berichtet, wie er durch seine Kontakte zum Landratsamt und den Hilfsorganisationen, für die er arbeitete, und mit Unterstützung durch den Jugend-Migrationsdienst herausfand, welche Möglichkeiten es in Baden-Württemberg gibt, um die Voraussetzung für ein Studium zu erfüllen. Auch über die Möglichkeiten der beruflichen Schulen in Bayern hat er sich schlaugemacht. Doch er wollte seinen Traum vom Maschinenbaustudium noch nicht aufgeben.
Er recherchiert im Internet, nimmt Kontakt zu anderen Studenten auf. Der schnellste Weg: die erfolgreiche Teilnahme an einem zweisemestrigen Studienkollegkurs für ausländische Staatsbürger – zum Beispiel an der Hochschule in Konstanz –, der einem die Zulassungsvoraussetzung für alle technischen Studiengänge an Hochschulen für angewandte Wissenschaften in Baden-Württemberg ermöglicht.
Strenger Aufnahmetest
Sein Plan B war geboren. Problem nur: Ein strenger Aufnahmetest ermittelt aus rund 300 Bewerbern die 30 besten – nur diese bekommen dann einen Platz. Zwar gibt es einen Vorbereitungskurs, der die Chancen deutlich steigert, doch der kostet Geld und findet direkt an der Hochschule Konstanz statt. „Das war die zweite Katastrophe. Denn wie sollte ich das bezahlen und wo sollte ich in Konstanz wohnen? Mein Betreuer beim Jobcenter hat mir erklärt, dass er dafür kein Geld geben kann“, erzählt Shahm. „Ich hätte Geld bekommen, wenn ich zum Beispiel einen Gabelstaplerführerschein hätte machen wollen. Aber nicht für den Vorbereitungskurs zum Studienkolleg. In Deutschland hast du solche Regeln. Da kann man nichts machen. Man muss sich dran halten“, so Shahm.
Weil seine Chancen ohne Vorbereitungskurs gleich null lagen, habe er sich als Plan C überlegt, seine Fachhochschulreife nachzuholen. Das Ziel des Studiums war in weite Ferne gerückt. Doch dann kam der Anruf von seinem Betreuer vom Jobcenter. Es gebe ein ganz neues Programm der privaten Friedrich-Schiedel-Stiftung, die unter dem Motto „Leistung und Chance“junge, hochbegabte Flüchtlinge unterstütze. „Es war, als ob das Leben wiederkommt. Ich hatte wieder eine Chance“, erzählt der junge Iraker freudestrahlend.
Mit seinem Unternehmenspaten habe er sich dann gleich ans Werk gemacht, um seine Unterlagen für die Stiftung zusammenzustellen. Er hat eine Einladung bekommen, durfte sich vorstellen und wurde in das Förderprogramm aufgenommen. Der Vorbereitungskurs und die Unterkunft in Konstanz für den Zeitraum wurden seitens der Stiftung getragen. Und er hat sich vorbereitet und gelernt, vier Wochen lang. Am wichtigsten sei es gewesen, die neuen Methoden zu erlernen, die man braucht, um hier in Deutschland zum Beispiel eine Mathematikaufgabe richtig zu lösen. „Und das kannst du dir nicht selber beibringen, dass muss dir jemand sagen und zeigen“, so Shahm.
Shahm hat es geschafft. Als einziger Flüchtling aus seinem Kurs hat er die Aufnahmeprüfung bestanden. Mit ihm hat es nur ein weiterer Teilnehmer unter die 30 besten geschafft. Stolz sei er gewesen und erleichtert. „Darum habe ich gekämpft. Ich freue mich auf mein Studienkolleg-Studium. Dann bin ich offiziell ein Student mit Studentenausweis. Auf diesen Tag habe ich seit drei Jahren gewartet“, lacht Shahm.
Als Erstes habe er seiner Mutter Bescheid gegeben, die ihn die ganze Zeit unterstützt hat. Auch sie freut sich über den Erfolg des Sohnes: „Mir ist ein Stein vom Herzen gefallen. Jetzt soll er der Klassenbeste werden und vielleicht noch einen Master machen. Ich wünsche ihm gute Erfahrungen und eine gute Arbeitsstelle“, sagt Rawa Jaweesh. Aber ein klein wenig traurig sei sie schon, dass nun auch ihr jüngster Sohn fortgeht.
Pläne für die Zukunft hat Shahm auch. „Die Deutschen sind einfach die besten Maschinenbauer. Ich will nach meinem Studium – vielleicht an der Hochschule Ravensburg-Weingarten – bei einem der bekannten Maschinenbauunternehmen arbeiten. Ich will dort neue Techniken und Verfahren mitentwickeln.“Dass das klappt, ist er sich sicher – und sonst gibt es bestimmt einen Plan B für den Iraker. Anderen jungen Flüchtlingen rät Shahm, auch nach Niederlagen niemals aufzugeben: „Es gibt immer ein Geschenk in der Zukunft, das uns helfen kann, unsere Ziele zu erreichen.“
Paten gesucht
Damit sich solche Erfolgsgeschichten wiederholen können, sucht Isabel Wagner, Projektkoordinatorin und Beraterin für Begabtenförderung von Flüchtlingen bei der Industrieund Handelskammer BodenseeOberschwaben nach freiwilligen Paten, die solche jungen Menschen für eine kurze Zeit mitbetreuen. „Wir wollen mit dem Förderprogramm der Friedrich-Schiedel-Stiftung noch viele solcher Geschichten erzählen können. Dafür brauchen wir aber Paten aus Unternehmen der Region, die sich engagieren möchten und mithelfen, in einigen Gesprächen neue Perspektiven für die Flüchtlinge entstehen zu lassen“, so Wagner.
Personalberater Hubert Pfaff, der Shahm Jaweesh betreut hat, ist von dem Nutzen der Patenschaft überzeugt: „Als Pate für die FriedrichSchiedel-Stiftung habe ich einen neugierigen und zielstrebigen jungen Mann betreuen dürfen. An sechs Abenden über vier Wochen verteilt haben wir an seinen beruflichen Plänen gefeilt. Ich konnte ihm helfen und habe selbst eine tolle positive Erfahrung machen dürfen. Mein Fazit: Diese Patenrolle ist eine echte Winwin-Aufgabe für alle Beteiligten“, sagt Pfaff.
Wer Lust und Interesse an einer solchen Patenschaft hat, der kann sich bei Isabel Wagner (wagner@weingarten.ihk.de oder unter Telefon 0751 / 409209 melden.