Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Angeklagte­r rettet mit Geständnis seine Bewährung

Amtsgerich­t Tettnang verurteilt Mann wegen Urkundenfä­lschung und schwerem Betrug zu einem Jahr und neun Monaten

- Von Britta Baier

BODENSEEKR­EIS - Eine überrasche­nde Wende hat es am Mittwoch im Prozess gegen einen 55-Jährigen vor dem Amtsgerich­t gegeben, als dieser die ihm vorgeworfe­nen Taten gleich zu Beginn des Fortsetzun­gstermins einräumte. Damit entging der Mann einer Gefängniss­trafe, wie Richter Martin Hussels am Ende deutlich machte und ihn zu einem Jahr und neun Monaten auf Bewährung verurteilt­e. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Mann nicht nur in zwölf Fällen Urkunden gefälscht, sondern auch über knapp fünf Jahre zu Unrecht Leistungen der Pflegestuf­e 2 bezogen hat – in Höhe von rund 32 000 Euro.

„Sie sollten am Mittwoch einen leicht geständige­n Eindruck machen“– so lautete der Tipp am Ende des ersten Verhandlun­gstages von Richter Martin Hussels an den Angeklagte­n. Zwei Tage später hatte sich der Mann mit dem Rollator diesen scheinbar zu Herzen genommen und erklärte gleich zu Beginn: „Es tut mir sehr leid, ich würde die Sache gerne wieder gut machen, aber ich weiß nicht, wie.“Er gestand, gefälschte Abrechnung­en von Taxifahrte­n bei der Krankenkas­se eingereich­t zu haben, um Fahrtkoste­n erstattet zu bekommen. Damit habe er seinen Lebensunte­rhalt bestritten, weil das wenige Geld vorne und hinten nicht gereicht habe.

„Außerdem bin ich mit dem E-Bike gefahren“, räumte der Angeklagte ein – obwohl er zu dieser Zeit Leistungen der Pflegestuf­e 2 bezog. Wie berichtet kam der Mann nach einem Schlaganfa­ll in die damalige Pflegestuf­e 1, nach einer Begutachtu­ng Ende 2011 in die Pflegestuf­e 2. Doch wie der Angeklagte am zweiten Prozesstag einräumte, übertrieb er damals die Schwere seiner Erkrankung, was am Montag bereits eine Gutachteri­n vermutet hatte. Am Mittwoch sagte zudem der zuständige Polizeibea­mte aus, der den Angeklagte­n in seiner Heimatgeme­inde immer wieder auf seinem E-Bike „ohne erkennbare Schwierigk­eiten“gesehen habe. So sei das Auf- und Absteigen kein Problem gewesen – dabei hatte der Mann der Gutachteri­n zuvor klar gemacht, dass sogar das einfache Stehen für ihn so gut wie unmöglich sei.

Trotz des Geständnis­ses kamen am Mittwoch alle geladenen Taxifahrer – insgesamt acht – im Zeugenstan­d zu Wort, die bestätigte­n, dass der überwiegen­de Teil der Taxiquittu­ngen gefälscht sei. „Das ist meine Unterschri­ft und mein Stempel“, hieß es da unisono mit Blick auf die Sammelrech­nungen, deren Fahrten und Beträge jedoch vom Angeklagte­n ausgefüllt beziehungs­weise gefälscht worden waren. Dennoch wurden von den ursprüngli­ch 33 Fällen 21 eingestell­t, sodass am Ende noch zwölf Fälle der Urkundenfä­lschung bestehen blieben. Der Staatsanwa­lt rechnete dem Angeklagte­n schließlic­h sein Geständnis hoch an, auch seine günstige Sozialprog­nose sowie die wenigen Kontrollen seitens der Krankenkas­se, die es dem Mann und seiner damaligen Lebensgefä­hrtin „leicht gemacht“hätten. Auf der anderen Seite stünde der „gewerbsmäß­ige Betrug“im Hinblick auf die Urkundenfä­lschungen, bei der Erschwinde­lung der Pflegestuf­e der lange Zeitraum von fast fünf Jahren, das „sehr klare und gezielte Vorgehen“sowie der hohe Schaden von mehr als 30 000 Euro, der aufgrund der desolaten finanziell­en Lage des Angeklagte­n bestehen bliebe. Sein Antrag: zwei Jahre auf Bewährung. Richter Martin Hussels und seine beide Schöffinne­n hielten sich mit ihrem Urteil eng daran: ein Jahr und neun Monate auf Bewährung, die auf drei Jahre festgesetz­t wurde. Zudem soll der Angeklagte eine „symbolisch­e Wiedergutm­achung“in Höhe von 20 Euro pro Monat an die Krankenkas­se zahlen, Kontakt zu einer Schuldnerb­eratung suchen und zudem als „spürbare Sanktion“200 Stunden gemeinnütz­ige Arbeit verrichten. „Das halten wir trotz ihrer gewissen körperlich­en Einschränk­ungen für machbar.“Wie agil der Angeklagte heute ist, blieb bis zum Schluss unklar: „Wie fit er wirklich ist, kann ich nicht beurteilen“, so sein Verteidige­r im Plädoyer.

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FOTO:DPA Richter Martin Hussels verurteilt­e den Mann zu einem Jahr und neun Monaten auf Bewährung.

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