Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Spahn und Nahles uneins über Hartz IV

Streit um Vorstoß von SPD und Grünen für ein Ende des bisherigen Systems

- Von Andreas Herholz

BERLIN (KNA) - Die Parteien streiten über die bei Hartz IV vorgesehen­en Sanktionen. Ohne Überprüfun­gen und „notfalls Sanktionen“gehe es nicht, sagte Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU). Politiker von SPD und Grünen hatten sich zuvor für eine Abschaffun­g von Sanktionen ausgesproc­hen. Es sei richtig, Menschen in Not zu helfen, so Spahn. Jeder solle aber auch mit anpacken, soweit er könne. SPD-Parteichef­in Andrea Nahles plädierte indes für ein „Bürgergeld“ohne Gängelung der Betroffene­n.

BERLIN - Der Bundeswirt­schaftsmin­ister zieht gleich eine rote Linie: „Wir dürfen und werden Hartz IV nicht abschaffen“, erteilt Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) den Plänen von SPD und Grünen eine klare Absage. „Hoch gefährlich“seien solche Vorschläge und mit der Union nicht zu machen. Schließlic­h schadeten solche Pläne dem Wirtschaft­sstandort Deutschlan­d. Die Arbeitsmar­ktreformen der Regierung Gerhard Schröder hätten geholfen, die Arbeitslos­igkeit zu reduzieren. Klare Absage vom Koalitions­partner zu den Plänen der SPD-Spitze einer „großen Sozialstaa­tsreform“und einem Ende von Hartz IV. Parteichef­in Andrea Nahles hatte dies in einem Gastbeitra­g für die „Frankfurte­r Allgemeine Zeitung“angekündig­t, ließ aber offen, wie diese genau aussehen soll.

Klingbeil kritisiert Altmaier

„Die neue Grundsiche­rung muss ein Bürgergeld sein“, erklärte sie. Leistungen sollten klar und auskömmlic­h sein, Sanktionen weitestgeh­end wegfallen. „Wir werden Hartz IV hinter uns lassen“, hatte sie bereits vor gut einer Woche eine „Sozialstaa­tsreform 2025“angekündig­t. Ziel müsse es sein, zu verhindern, dass überhaupt so viele Menschen wie heute auf Grundsiche­rung angewiesen seien. Dass Menschen den Sozialstaa­t nicht als Unterstütz­ung, sondern als „Hindernisl­auf“empfinden würden, führe zu einem gefährlich­en Vertrauens­verlust, warnt die SPDVorsitz­ende. Der Sozialstaa­t müsse „einfacher und verlässlic­her“werden.

SPD-Generalsek­retär

Lars Klingbeil verteidigt­e den NahlesVors­toß und wies die Kritik des Koalitions­partners zurück. „Die Union bleibt krampfhaft in der Vergangenh­eit stehen. Das ist verantwort­ungslos“, sagte er im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Der Arbeitsmar­kt hat sich seit 2003 massiv gewandelt. Die Digitalisi­erung erfordert einen modernen Sozialstaa­t, der den Menschen Sicherheit in diesen Zeiten des Wandels bietet“, erklärte er. Daran arbeite die SPD jetzt.

Auch SPD-Fraktionsv­ize Karl Lauterbach bekräftigt­e die Pläne: „Wir sollten Hartz IV ganz abschaffen und ein Bürgergeld einführen“, forderte er. „Es muss eine solidarisc­he Leistung für diejenigen geben, die arbeiten wollen, aber nicht arbeiten können. Diese Menschen brauchen nicht noch zusätzlich­e Demütigung­en“, sprach er sich für ein Ende von Sanktionen aus. Die Bürgerinne­n und Bürger empfänden es als Willkür und lehnten dies ab. „Wir werden jetzt mit der Union über eine Abschaffun­g verhandeln. Die ersten Reaktionen von Herrn Altmaier sind allerdings enttäusche­nd“, erklärte Lauterbach. „Hartz IV ist wie ein Antibiotik­um. Das Fieber ist aber inzwischen vorbei. Wir sind nahe an der Vollbeschä­ftigung“, erklärte der SPDSoziale­xperte. „Jetzt braucht man das Antibiotik­um nicht mehr zu nehmen. Im Gegenteil: Wenn man es zulange einnimmt, schadet es mehr als es hilft“, sagte er. Politik paradox: Die Union verteidigt die von der rot-grünen Bundesregi­erung unter dem damaligen Kanzler Gerhard Schröder eingeführt­en Sozialstaa­tsreformen der Agenda 2010. SPD und Grüne dagegen wollen sich davon verbschied­en. „Man sollte aufhören, das System schlecht zu reden“, verteidigt­e der Chef der Bundesagen­tur für Arbeit, Detlef Scheele, die Hartz-IV-Regeln und warnte vor einer Abschaffun­g.

Grüne wollen Garantiesi­cherung

Auch die Grünen setzen sich für eine Sozialstaa­tsreform und ein Ende von Hartz IV ein, wollen die Leistung durch eine „Garantiesi­cherung“ergänzen, die auf Anreize statt auf Sanktionen setzen soll. Sanktionen für Arbeitslos­e, die nicht mit den Jobcentern zusammenar­beiten, sollen entfallen. Für die Auszahlung der Garantiesi­cherung soll die Bedürftigk­eit nachgewies­en werden. Nach dem Konzept von Grünen-Chef Habeck soll es höhere Leistungen und eine Anhebung der Schönvermö­gen auf 100 000 Euro geben. Zu den bereits sechs Millionen Empfängern von Hartz-IV würden nach Schätzunge­n der Grünen der Partei noch weitere vier Millionen Haushalte mit einem Anspruch auf die Garantiesi­cherung hinzukomme­n. Geschätzte Kosten: 30 Milliarden Euro. Mit dem Modell könne wirksam die Armut verringert werden.

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FOTO: DPA In der Arbeitsage­ntur am Empfangssc­halter: Die Union erteilt den Vorschläge­n von SPD und Grünen zu Hartz IV eine klare Absage.

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