Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
May warnt vor Putsch
Anfang dieser Woche könnte es zum Misstrauensvotum kommen – Europaminister beraten heute über den Brexit
LONDON - Im Streit um das BrexitAbkommen gerät die britische Premierministerin Theresa May immer stärker unter Druck. Bereits Anfang der Woche könnte es zum Misstrauensvotum kommen. May hat vor einem Putsch in ihrer Konservativen Partei gewarnt. Ein Führungswechsel würde die Verhandlungen mit Brüssel nicht einfacher machen und die Mehrheitsverhältnisse im britischen Parlament nicht verändern. „Die nächsten sieben Tage sind entscheidend“, sagte May dem Sender Sky News am Sonntag. Die Europaminister der EU beraten am Montag über den Brexit.
Am Sonntag blieb offen, ob die lautstark angekündigte Vertrauensabstimmung in der Tory-Fraktion überhaupt stattfindet. Dazu müssten sich 15 Prozent der Tory-Unterhausfraktion, also 48 Hinterbänkler schriftlich beim Fraktionskollegen Graham Brady melden, dem Leiter des zuständigen Ausschusses „Komitee 1922“. Bis Sonntagnachmittag identifizierten britische Medien 25 Konservative, die sich öffentlich zu ihrem Misstrauensbrief bekennen. Brady selbst mochte dem britischen Sender BBC die Zahl nicht bestätigen, teilte aber mit: „Eine Abstimmung wäre für die Brexit-Verhandlungen nicht hilfreich.“
Dieses urenglische Understatement scheint auch Mays Medienstrategie zugrunde zu liegen. Vor dem EU-Gipfel am kommenden Sonntag wolle sie die bisher siebenseitige Erklärung zur zukünftigen Zusammenarbeit mit Details anreichern. Ihr eigener Sturz würde nur die ohnehin große Unsicherheit schüren, argumentierte May.
Im Parlament mangelt es zwar nicht an guten Ratschlägen, eine echte Alternative zum vergangene Woche erzielten vorläufigen Austrittsvertrag hat aber niemand parat. Die schottische Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon von der Nationalpartei SNP verlangte die Verschiebung des Austrittstermins Ende März. Labours Brexit-Sprecher Keir Starmer kündigte eine Gesetzesinitiative zum Verbot eines Chaos-Brexit ohne Austrittsvereinbarung an. Oppositionschef Jeremy Corbyn wurde vom TVSender Sky gefragt, ob er sämtliche 585 Seiten des vorgeschlagenen Vertrages gelesen habe. „Ziemlich viel davon“, lautete die Antwort des Möchtegern-Premierministers.
Corbyn verlangt von May Neuverhandlungen mit Brüssel – wie auch jene fünf Brexit-Befürworter um Umweltminister Michael Gove, die vorläufig im Kabinett verharren. Ihr Zorn wie der des zurückgetretenen Brexit-Ministers Dominic Raab richtet sich vor allem gegen die Auffanglösung für Nordirland. Diese sieht vor, daß Großbritannien auch nach Ende der Übergangsfrist an Silvester 2020 Mitglied der Europäischen Zollunion bleibt, um Grenzkontrollen an der inneririschen Grenze zu vermeiden. May verweist darauf, die Auffanglösung werde nur dann in Kraft treten, wenn sich beide Seiten nicht rechtzeitig auf eine tragfähige Alternativlösung geeinigt haben.
Keine Einwände der Botschafter
Von Seiten der EU gebe es kein Interesse, den Austrittsvertrag noch einmal aufzumachen, hieß es am Sonntag nach dem Ende eines Treffens der Botschafter der verbleibenden 27 Mitgliedstaaten in Brüssel.
Der am Donnerstag zurückgetretene Raab behauptete gegenüber der BBC, er unterstütze die Premiermininisterin: „Ich will, daß sie ihre Sache gut macht.“Er warf May aber schwache Verhandlungsführung vor. Der kurzzeitige Brexit-Minister gilt wie sein Vorgänger David Davis sowie Ex-Außenminister Boris Johnson als einer derjenigen, die Mays Nachfolge anstreben.
Unterdessen wächst in der Wirtschaft das Unverständnis gegenüber den Tory-Machtkämpfen. Nachverhandlungen seien illusorisch. „Wer glaubt, den Deal neu verhandeln zu können“, ärgert sich Paul Drechsler, Chairman des Mischkonzerns Bibby Line Group, „hat etwas geraucht, das es auf dem freien Markt nicht gibt”.