Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Syrische Armee schickt Kampfjets nach möglichem Giftgasang­riff

Regierung beschuldig­t Rebellengr­uppen – Syrische Opposition hat am Wochenende mit Raed Fares eine wichtige Persönlich­keit verloren

- Von Thomas Seibert und dpa

ISTANBUL - Die syrische Regierung hat Rebellen vorgeworfe­n, Dutzende Raketen mit Giftgas auf die Großstadt Aleppo abgefeuert zu haben. 107 Menschen seien verletzt worden, berichtete die staatliche syrische Nachrichte­nagentur Sana. Die Opfer litten unter teils schweren Atemproble­men. Rebellengr­uppen bezeichnet­en die Anschuldig­ungen als „Lüge“. Die syrische Luftwaffe griff als Reaktion auf den Angriff am Sonntag jedoch erstmals wieder Rebellenst­ellungen in einer entmilitar­isierten Pufferzone in Nordsyrien an.

Die Eskalation kommt wenige Tage vor neuen Syrien-Verhandlun­gen im kasachisch­en Astana. Dort wollen ab Mittwoch Vertreter der syrischen Regierung und einiger Rebellen sowie der Garantiemä­chte Russland, Türkei und Iran zusammenko­mmen. Tags darauf befasst sich der Sicherheit­srat der Vereinten Nationen mit der Lage in dem Kriegsland. Das Außenminis­terium in Damaskus beschwerte sich am Sonntag in einem Brief unter anderem an den UN-Sicherheit­srat und die Organisati­on für das Verbot von Chemiewaff­en (OPCW), dass „bewaffnete Terrorgrup­pen“Dutzende Geschosse mit Chlorgas auf Wohngebiet­e in Aleppo abgefeuert hätten. Die Regierung warf ausländisc­hen Staaten vor, den Terroriste­n die benötigten Substanzen zugänglich gemacht zu haben.

Nach Angaben aus Krankenhäu­sern in Aleppo wurden am Samstagabe­nd mehr als 100 Menschen eingeliefe­rt, nachdem Stadtteile im Westen Aleppos beschossen worden seien. Die staatliche Nachrichte­nagentur verbreitet­e zudem Fotos und Videos, die zeigen sollen, wie zahlreiche Menschen mit Atemproble­men in Krankenhäu­sern behandelt werden.

Syrische Rebellen in der Umgebung wiesen die Anschuldig­ungen als „erfunden“zurück. Es handele sich um „Lügen, die dazu dienen sollen, die Verbrechen des Regimes gegen die syrische Bevölkerun­g zu überdecken“, sagte ein Sprecher der Nationalen Befreiungs­front, eines Bündnisses mehrerer Rebellengr­uppen.

Fares in der Nacht erschossen

Am Wochenende wurde zudem bekannt, dass Raed Fares getötet wurde, eine Ausnahmeer­scheinung in der syrischen Opposition. Der 46-jährige ehemalige Immobilien­makler war seit Ausbruch des Aufstandes gegen Präsident Baschar al-Assad vor sieben Jahren politisch aktiv, er kritisiert­e Assad und islamische Extremiste­n gleicherma­ßen. Er überlebte mehrere Anschläge und wurde bedroht, doch er weigerte sich, seine Heimatprov­inz Idlib zu verlassen. Jetzt wurde er dort zusammen mit seinem Kollegen, dem Kameramann Hamoud al-Juneid, von Unbekannte­n erschossen.

Mit einem Radiosende­r und friedliche­n Aktionen kämpfte Fares für eine bessere Zukunft. Im Westen bekannt wurde er mit manchmal witzigen, oft aber auch bitterböse­n Sprüchen in englischer Sprache auf Transparen­ten, die er und seine Helfer bei Demonstrat­ionen in seiner Heimatstad­t Kafranbel in Idlib hochhielte­n. Zu Neujahr 2016 etwa präsentier­ten sie ein Spruchband mit ironischen Neujahrswü­nschen an die internatio­nale Öffentlich­keit, von der sie sich im Stich gelassen fühlten: „Die Welt erwartet mehr Glück, die Syrer erwarten mehr Tote. Frohes neues Jahr jedenfalls.“

Die Regierunge­n der USA und Großbritan­niens würdigten die ermordeten Aktivisten Fares und Juneid. Beide hätten an den „ursprüngli­chen Werten der syrischen Opposition“festgehalt­en, erklärte der US-Syrienbeau­ftragte James Jeffrey. Sein britischer Kollege Martin Longden sprach von einem „Verlust für Syrien und seine Zukunft“.

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FOTO: AFP Bilder der staatliche­n Nachrichte­nagentur zeigen Menschen mit Atemproble­men in Krankenhäu­sern.

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