Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Syrische Armee schickt Kampfjets nach möglichem Giftgasangriff
Regierung beschuldigt Rebellengruppen – Syrische Opposition hat am Wochenende mit Raed Fares eine wichtige Persönlichkeit verloren
ISTANBUL - Die syrische Regierung hat Rebellen vorgeworfen, Dutzende Raketen mit Giftgas auf die Großstadt Aleppo abgefeuert zu haben. 107 Menschen seien verletzt worden, berichtete die staatliche syrische Nachrichtenagentur Sana. Die Opfer litten unter teils schweren Atemproblemen. Rebellengruppen bezeichneten die Anschuldigungen als „Lüge“. Die syrische Luftwaffe griff als Reaktion auf den Angriff am Sonntag jedoch erstmals wieder Rebellenstellungen in einer entmilitarisierten Pufferzone in Nordsyrien an.
Die Eskalation kommt wenige Tage vor neuen Syrien-Verhandlungen im kasachischen Astana. Dort wollen ab Mittwoch Vertreter der syrischen Regierung und einiger Rebellen sowie der Garantiemächte Russland, Türkei und Iran zusammenkommen. Tags darauf befasst sich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit der Lage in dem Kriegsland. Das Außenministerium in Damaskus beschwerte sich am Sonntag in einem Brief unter anderem an den UN-Sicherheitsrat und die Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW), dass „bewaffnete Terrorgruppen“Dutzende Geschosse mit Chlorgas auf Wohngebiete in Aleppo abgefeuert hätten. Die Regierung warf ausländischen Staaten vor, den Terroristen die benötigten Substanzen zugänglich gemacht zu haben.
Nach Angaben aus Krankenhäusern in Aleppo wurden am Samstagabend mehr als 100 Menschen eingeliefert, nachdem Stadtteile im Westen Aleppos beschossen worden seien. Die staatliche Nachrichtenagentur verbreitete zudem Fotos und Videos, die zeigen sollen, wie zahlreiche Menschen mit Atemproblemen in Krankenhäusern behandelt werden.
Syrische Rebellen in der Umgebung wiesen die Anschuldigungen als „erfunden“zurück. Es handele sich um „Lügen, die dazu dienen sollen, die Verbrechen des Regimes gegen die syrische Bevölkerung zu überdecken“, sagte ein Sprecher der Nationalen Befreiungsfront, eines Bündnisses mehrerer Rebellengruppen.
Fares in der Nacht erschossen
Am Wochenende wurde zudem bekannt, dass Raed Fares getötet wurde, eine Ausnahmeerscheinung in der syrischen Opposition. Der 46-jährige ehemalige Immobilienmakler war seit Ausbruch des Aufstandes gegen Präsident Baschar al-Assad vor sieben Jahren politisch aktiv, er kritisierte Assad und islamische Extremisten gleichermaßen. Er überlebte mehrere Anschläge und wurde bedroht, doch er weigerte sich, seine Heimatprovinz Idlib zu verlassen. Jetzt wurde er dort zusammen mit seinem Kollegen, dem Kameramann Hamoud al-Juneid, von Unbekannten erschossen.
Mit einem Radiosender und friedlichen Aktionen kämpfte Fares für eine bessere Zukunft. Im Westen bekannt wurde er mit manchmal witzigen, oft aber auch bitterbösen Sprüchen in englischer Sprache auf Transparenten, die er und seine Helfer bei Demonstrationen in seiner Heimatstadt Kafranbel in Idlib hochhielten. Zu Neujahr 2016 etwa präsentierten sie ein Spruchband mit ironischen Neujahrswünschen an die internationale Öffentlichkeit, von der sie sich im Stich gelassen fühlten: „Die Welt erwartet mehr Glück, die Syrer erwarten mehr Tote. Frohes neues Jahr jedenfalls.“
Die Regierungen der USA und Großbritanniens würdigten die ermordeten Aktivisten Fares und Juneid. Beide hätten an den „ursprünglichen Werten der syrischen Opposition“festgehalten, erklärte der US-Syrienbeauftragte James Jeffrey. Sein britischer Kollege Martin Longden sprach von einem „Verlust für Syrien und seine Zukunft“.