Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Tavernen hatten keinen guten Ruf
Die Ursprünge dessen, was wir heute als traditionelle Gastwirtschaft kennen, waren nicht immer ganz jugendfrei – Ein historischer Abriss
RAVENSBURG - „Wes Herd dies auch sei, hier will ich rasten,“singt Siegmund in Richard Wagners „Ring des Nibelungen“. Ganz selbstverständlich kehrt der Held in Hundings Hütte ein. Und ganz selbstverständlich serviert ihm die Hausherrin ein Mahl. In mythischer Vorzeit galt das Gastrecht. Es war ein ungeschriebenes Gesetz. Doch als der Handel zunahm und immer mehr Menschen auf Pilgerschaft gingen, war das Modell Privatquartier am Ende.
Die Wiege des Gastgewerbes liegt – wie so vieles – im Zweistromland. Schon die Sumerer kannten Orte, an denen Menschen bewirtet wurden. Fürs Bierbrauen waren die Frauen zuständig, entlohnt wurden sie in Naturalien. Im Codex Hammurabi findet sich 1700 v. Chr. die älteste Bierschankordnung. Die liest sich reichlich drastisch: „Die Wirtin, die sich ihr Bier nicht in Gerste, sondern in Silber bezahlen lässt, oder die minderwertiges Bier ausschenkt, wird ertränkt.“Eine Priesterin, die in die Wirtschaft gehe oder eine solche gar eröffnen wolle, solle verbrannt werden. Der badische Dichter Viktor von Scheffel hat sich in seinem satirischen Studentenlied „Assyrisch“anno 1854 für einen armen Zecher eine vergleichsweise harmlose Strafe ausgedacht: „Im schwarzen Walfisch zu Askalon, da schlug die Uhr halb vier, da warf der Hausknecht aus Nubierland den Fremden vor die Tür.“
Das Wirtshaus hatte keinen besonders guten Ruf in frühen Zeiten. Tabernae, wie sie die Römer kannten, waren oftmals nichts anderes als Bordelle. Eine Quelle aus dem 8. Jahrhundert aus Konstanz verbietet Geistlichen, in Tavernen zu gehen. Sie sollten vielmehr auf gegenseitige Gastfreundschaft unter Klerikern setzen.
In Schenken und Tavernen kehrten die Fremden ein. Doch etablierten sich vor allem in den Städten auch vermehrt Trinkstuben und Gesellschaftslokale für die ortsansässige Bevölkerung. Jeder Stand hatte sein Lokal. In Ulm versammelten sich die Patrizier in der Oberen Stube. Fernhändler, Kaufleute und Krämer trafen sich in der Unteren Stube, Mitglieder der Ulmer Zünfte in öffentlichen Wirtschaften. In Zürich sind solche Zunftlokale auch jetzt noch in reicher Zahl vorhanden. Sie tragen Namen wie Zunfthaus zur Waag, zu Zimmerleuten, zur Meisen, zu Saffran. In Ulm hingegen wurde die Obere Stube 1975 geschlossen. Die „Südwest Presse“schrieb damals, es sei zuletzt „ein Neger-Lokal“gewesen.
Seit vielen Jahren beschäftigt sich der Bad Waldseer Stadtarchivar Michael Barczyk mit den Namen von Wirtshäusern. Woher kommen denn all die Adler und Ochsen und Löwen? Auch dies sei den Pilgern und Fernhändlern zu verdanken, schreibt Barczyk. „Da beide Gruppen unterwegs waren, benannte man die Unterkünfte nach Heiligen, die irgend etwas mit dem Reisen zu tun hatten.“Von den Heiligen Drei Königen seien die und der
abgeleitet. Ein habe den Weg zur Krippe gewiesen. Nicht die Namen der Heiligen, sondern ihre Attribute seien für den mittelalterlichen Menschen aussagekräftig gewesen. „Der steht für den Evangelisten Markus, der
für Lukas, der für Matthäus und der für Johannes.“
und seien Christussymbole. Der erinnere an den Wanderstab des heiligen Christophorus und die an die Mutter Gottes. Eine Gaststätte zur Rose finde sich oft dort, wo es ein Marienpatrozinium gebe, zum Beispiel in Waldsee oder in Alttann bei Wolfegg.
In Oberschwaben freilich könne man nicht immer darauf vertrauen, dass der Adler wirklich für den Evangelisten Johannes stehe. Es könnte auch das Wappentier der zuständigen Herrschaft, in Oberschwaben, also Österreich, sein. Am Beispiel des Adlers in Gaisbeuren kann Barczyk gleich mehrere Funktionen eines Wirtshauses zeigen. Seit 1481 ist das Haus als Bannwirtschaft nachzuweisen, also ein Ort, an dem Recht gesprochen werden konnte.
1653 habe die Stadt Waldsee das Recht bekommen, im Adler in Gaisbeuren eine Zollstation einzurichten. Warum? Fuhrleute versuchten, Maut und Zoll zu sparen, und umfuhren deswegen die Städte. Weil sich die Stadt diese Einnahmen nicht entgehen lassen wollte, wurde eben ein paar Kilometer vor der Stadt der Zoll erhoben. Das Wirtshaus mit dem Doppeladler war also ein Zeichen: Hier beginnt Österreich, hier muss gezahlt werden.
Ein Franzose lobt die schwäbische Küche
Die Frage ist, was in all den Adlern und Ochsen früher aufgetischt wurde. Hierfür sind Reiseberichte eine gute Quelle. In keiner Wirtshausgeschichte Schwabens fehlt die Hymne Michel de Montaignes auf die Küche in diesen Landen. Der berühmte Autor der „Essais“kam 1580 auf seiner Italienreise nach Oberschwaben und an den Bodensee. Er nahm im Gasthaus zur Krone in Lindau Quartier. Das Haus steht heute noch in der Ludwigstraße. Der französische Schriftsteller pries die schwäbische Kochkunst in den höchsten Tönen: „Gute Fische gibt es in Hülle und Fülle. (...) Als Beilage zum Fleisch reicht man Pflaumenkompott sowie Apfel – und Birnentörtchen. An Frischobst gibt es nur Birnen und köstliche Äpfel, dazu Nüsse und Käse. (...) Dies alles ist in besseren Gasthäusern von derart vorzüglichem Geschmack, dass sich damit unsere Küchen des französischen Adels kaum vergleichen können.“Monsieur bedauerte zutiefst, seinen Koch nicht mitgebracht zu haben.