Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Streit mit der Vergangenheit und den Nazis
Mit „Marlow“setzt Volker Kutscher seine Romanserie mit Kommissar Rath fort
In der Fernsehserie „Babylon Berlin“ermittelt Kommissar Gereon Rath im Jahr 1929. Im siebten Teil der Romanserie „Marlow“von Volker Kutscher, der die Vorlage zu der ARD-Serie geliefert hat, ist die Zeit schon etwas fortgeschritten: Der Roman spielt im Jahr 1935. Trotzdem geht es um den gleichen Kommisar, wie in „Babylon Berlin“. Und in seinem neuesten Fall gerät Rath mitten in eine Intrige der Nazis.
Gereon Rath ist seit sechs Jahren bei der Berliner Kriminalpolizei und inzwischen zum Oberkommissar befördert worden. Aber viel zu feiern hat der eigenwillige Ermittler nicht. War er am Beginn von Volker Kutschers Romanserie noch mit spannenden Fällen betraut, so hat nun Routine eingesetzt.
Deshalb erwartet er auch nicht viel, als er eines nachmittags zu einem mysteriösen Autounfall geschickt wird. Ein Taxi ist ohne ersichtlichen Grund in einer Kurve geradeaus und mit hoher Geschwindigkeit gegen eine Mauer gefahren. Der Taxifahrer und sein Fahrgast waren sofort tot. Eigentlich kein Fall für die Kripo. Aber wieder einmal bringt Raths Neugier dramatische Ereignisse ins Rollen. Rath findet die Aktentasche des toten Fahrgastes. In ihr stecken Dokumente mit der Aufschrift „Geheime Reichssache“. Sofort weiß er, dass er sie nie hätte sehen dürfen, aber nun ist es zu spät. Der Tote war offenbar Mitarbeiter des Nazi-Geheimdienstes, und die gefundenen Unterlagen legen nahe, dass der Geheimdienst dabei war, Hermann Göring zu erpressen, den zweitmächtigsten Mann im Nazi-Staat.
Rath sieht Verbindung zu einem alten Fall
Niemand darf davon wissen, und erst recht nicht, dass Rath davon weiß. Also lässt er die Unterlagen verschwinden und löst scheinbar unbeteiligt den Fall des toten Taxifahrers. Aber als er davon seiner Frau Charlotte erzählt, die mittlerweile als Privatdetektivin für Raths früheren Kollegen Böhm arbeitet, wird Böhm auf einmal hektisch. Er sieht Verbindungen zwischen diesem Fall und einem alten Fall.
Das Pikante an der Geschichte ist, dass die Parallelen zu einer Hausexplosion führen, bei der acht Jahre zuvor Charlottes Vater unter sehr merkwürdigen Umständen getötet wurde. Diese Geschichte hat Kutscher im vergangenen Jahr in dem Kurzroman „Moabit“erzählt. Raths Frau ist nie über den Tod ihres Vaters hinweggekommen und ermittelt nun auf eigene Faust.
Auch Rath, der die Kripo und seinen legendären Chef Ernst Gennat verlässt, um im Landeskriminalamt neue Herausforderungen zu suchen, arbeitet insgeheim weiter an dem Fall, der schon als abgeschlossen gilt. Dabei gerät er wiederholt in Konflikt mit den Autoritäten des Nazi-Staates, selbst wenn er zur Tarnung zu einem Reichsparteitag nach Nürnberg fährt. Kutscher nutzt die Gelegenheiten, um das gesellschaftliche Klima im Deutschland des Jahres 1935 eindringlich darzustellen. Der Antisemitismus zeigt sich im Alltagsleben immer wieder. Kutscher kann die Verkündung der berüchtigten Nürnberger Rassegesetze sogar in die Romanhandlung einbauen.
Bei ihren getrennten Recherchen, von denen der andere nichts erfahren soll, stoßen Rath wie auch Charlotte immer wieder auf einen Mann, der Raths Berliner Karriere von Anfang an begleitet hat: Den Gangsterboss Johann Marlow. Dieser hat über die Jahre Rath immer wieder gefördert, ihn aber auch für seine Zwecke benutzt. Einmal mehr taucht er nun als böser Strippenzieher im Hintergrund auf. Auch dort, wo niemand es vermutet, scheint er Menschen wie Marionetten zu kontrollieren.
Auch wenn er in gar nicht sehr vielen Szenen direkt auftaucht, so ist Johann Marlow doch die Figur, um die sich der Kern des Romans dreht, der nach ihm benannt ist. Zumal der Roman auch noch „Eine andere Geschichte“erzählt. Mit diesem Titel überschreibt Kutscher mehrere kurze Kapitel, die Episoden aus Marlows Werdegang zeigen und einiges über ihn und seinen stets präsenten chinesischen Chauffeur erklären.
„Marlow“greift einige Punkte auf, die aus den früheren Romanen der Rath-Serie hergeleitet sind, und zeigt, wie die etablierte Nazi-Herrschaft das alltägliche Leben der Menschen und auch die Arbeit der Polizei beeinflussten. Dies macht „Marlow“nicht nur zu einem spannenden historischen Krimi, sondern auch zu einem packenden Politthriller.
Und es dürfte nicht der letzte Rath-Roman bleiben. Volker Kutscher selbst sagte kürzlich auf der Frankfurter Buchmesse, er habe „fest vor, zumindest bis ins Jahr 38 hinein zu schreiben.“In „Marlow“hat er genügend Cliffhanger eingebaut, die spannende und ungewöhnliche Erlebnisse für Gereon Rath erwarten lassen. (dpa)
Volker Kutscher: Marlow. Der siebte Rath-Roman, Piper Verlag München, 522 Seiten, 24 Euro, ISBN 978-3-492-05594-9.