Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Geschlagen und gedemütigt bis zur Flucht aus Todesangst
Frau erzählt von Gewalt in der Partnerschaft – Sie will mit ihrem Erfahrungsbericht andere Frauen ermutigen, sich zu befreien
RAVENSBURG - Es ist ein Abend wie schon so viele andere, an dem Carolin (Name von der Redaktion geändert) aber plötzlich weiß, dass sie so schnell wie möglich verschwinden muss. Ihr Mann war ausgerastet, wieder mal, hat vor Wut auf die Möbel eingeschlagen. Carolin kann nach mehr als 20 Jahren die Zeichen lesen. Die Zeichen, die einen Übergriff ankündigen.
Seine Attacken auf sie waren mit der Zeit immer schlimmer geworden. Er hatte sie schon gewürgt, bis ihr schwarz vor Augen wurde, oder ihr ein Messer an den Hals gehalten. „Ich hatte alles durch, welche Steigerung gab’s da noch?“, sagt sie heute. An diesem Abend hat sie nur einen Gedanken: „Wenn ich nicht morgen hier weg bin, überleb ich’s vielleicht nicht.“
Sie kam im Ravensburger Frauenhaus unter und trennte sich endgültig. Carolin ist eine von Tausenden Frauen in Deutschland, die in ihrer Beziehung massive Gewalt erleben. 2017 sind rund 140 000 Menschen bei der Polizei als Opfer von häuslicher Gewalt erfasst worden. 82 Prozent der Opfer waren Frauen. Das Bundeskriminalamt betonte in seiner Statistik, dass es sich nur um die gemeldeten Fälle handelt. Die Dunkelziffer dürfte in diesem Feld besonders groß sein. „Vielen Opfern fällt es schwer, sich jemandem anzuvertrauen – zu groß ist die Scham“, heißt es seitens der Opferschutzorganisation Weißer Ring.
Alles begann mit der großen Liebe
Dieses Jahr ist Carolin anlässlich des Internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen im November zum ersten Mal mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit gegangen. Sie hat in Ravensburg einen Vortrag gehalten und erzählt auch für diesen Zeitungsartikel von ihren Erfahrungen, weil sie über die Muster häuslicher Gewalt aufklären will. Wenn sie andere betroffene Frauen ermutigen könnte, sich früher zu retten als sie, wäre das für sie ein Erfolg, wie sie sagt. Carolin hat ihre eigene „Rettung“immer wieder aufgeschoben. Obwohl sie einmal selbst die Polizei rief, zeigte sie ihren Partner doch nicht an. Über Jahre hat sie immer wieder Hoffnung gefasst, seine Entschuldigungen angenommen und seinen Beteuerungen geglaubt, dass so was nie wieder vorkomme. Schließlich hatte sie ihn mal für ihre große Liebe gehalten. Carolin hat mit Anfang 20 diesen Mann kennengelernt, der vor Charme sprühte, der Frauen die Tür aufhält und im Restaurant den Stuhl zurechtrückt und sie als die wunderbarste Frau der Welt bezeichnete. „Es regnete rote Rosen.“
Nachdem sie zusammengezogen waren, mäkelte er immer mehr an ihr herum. „Ich hatte das Gefühl, ich bin schuld, ich mach’s ihm nicht recht.“Dann kam es zum ersten Gewaltausbruch. Ein Schock für die junge Frau. Und auch für den Mann, wie es schien. „Er schwor mir, das sei eine einmalige Sache gewesen, er wisse gar nicht, was über ihn gekommen ist“, erinnert sie sich. Und sie hatte Mitleid, wollte sich um den aus ihrer damaligen Sicht vom Leben gebeutelten Mann kümmern, ihm helfen, seine Aggressionen besser in den Griff zu bekommen. Und es hatte den Anschein, als habe sie recht. Jahrelang blieb es ruhig.
Erst als sie schon Kinder miteinander hatten, ging es plötzlich wieder los. „Er hat mich jeden zweiten Tag richtig verprügelt.“Nach einer ersten Flucht zu Familienangehörigen kehrt sie zurück zu ihm. Die Gewalt bleibt wieder aus. Aber auch diesmal sollte es nur eine Pause sein. „Wenn er immer gleich schlimm gewesen wäre, hätte die Beziehung nicht so lange gedauert“, sagt Carolin heute. Lange habe sie trotz allem noch Empathie für den gewalttätigen Mann gehabt und sich für die Familie aufgeopfert. „Ich war das ideale Opfer“, sagt sie heute.
Einige Nachbarn hörten ihre Schreie
Indem sie ihre Geschichte erzählt, will sie auch die Gesellschaft sensibilisieren. „Es gibt genügend Leute, die wegschauen“, sagt sie. Nach der Trennung habe sie mit ehemaligen Nachbarn gesprochen. Einige sagten, sie hätten sie manchmal schreien hören, erzählt Carolin. Aber nur einmal habe jemand die Polizei gerufen. „Die Haltung ,Das geht mich nichts an’ überwiegt.“
Außerdem sorge die freundliche Fassade, die Täter penibel pflegen und aufrechterhalten, dafür, dass ihnen niemand solche Taten zutraut. „Täter sind typischerweise nicht die, die ruppig oder bullig auftreten“, sagt sie. „Das ist nicht unterste soziale Schicht oder so.“Selbst nach der Trennung habe sie sich vor Bekannten immer wieder dafür rechtfertigen müssen, dass sie ihren Mann verlassen hat.
„Ich hatte das Gefühl, ich bin schuld, ich mach’s ihm nicht recht.“
Carolin, die Opfer von Gewalt in der Partnerschaft wurde
Schweigegebot für Frau und Kinder
Auch beim Weißen Ring heißt es: „Häusliche Gewalt kommt querbeet in allen Altersklassen und Bevölkerungsschichten vor, egal ob in Arbeiteroder Akademikerfamilien.“Das Sprechen darüber gelte trotzdem als Tabu. Auch den Frauen zeige sich die gewalttätige Seite des Partners erst nach und nach.
Für Carolin fühlt es sich nach Befreiung an, von ihren Erfahrungen zu berichten. „Zur häuslichen Gewalt gehört das Schweigegebot“, sagt sie. Ihr Partner habe ihr und den Kindern eingetrichtert: „Ja nichts erzählen, sonst passiert was.“Er habe ihr Handy kontrolliert, vorgeschrieben, ob sie Make-up benutzen darf und wann sie wohin gehen darf. „Ich habe es so satt, ich lasse mir nichts mehr verbieten. Auch den Mund lass ich mir nicht verbieten.“Zu gehen, sei sehr anstrengend für sie gewesen. „Ich war psychisch ganz unten. Aber jetzt atme ich wieder. Und es gibt keine Angst mehr bei uns zu Hause. Dafür hat es sich gelohnt.“