Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Rouge und Lippenstift für neuen Lebensmut
Besuch bei Schminkkurs für Krebspatientinnen – Arzt beobachtet psychische Stärkung durch das Seminar
RAVENSBURG - „Sich schön fühlen trotz Krebs“– dieser Satz steht auf Papierbögen, die vor den neun Kursteilnehmerinnen in einem Seminarraum der Oberschwabenklinik in Ravensburg auf dem Tisch liegen. Neun Frauen zwischen 37 und 76 Jahren, deren Leben von der Diagnose Krebs erschüttert wurde. Die meisten von ihnen haben ihre Haare durch die Chemotherapie verloren. Auch Augenbrauen und Wimpern sind vielen von ihnen ausgefallen. An diesem Nachmittag wollen sie von einer Kosmetikerin Schminktipps bekommen – ein Angebot, das auch aus ärztlicher Sicht sinnvoll ist.
„Der Haarausfall war für mich schlimmer als die Diagnose“, sagt die Teilnehmerin Sibylle B. (50), von Beruf Friseurin. Ihre blonden Locken hat sie sich wegen des heftigen Haarausfalls nach großer Überwindung selbst abrasiert. Jetzt sehe sie aus wie ihr Bruder, findet sie. Sie trägt eine raffinierte Mischung aus Mütze und Tuch auf dem Kopf. Trotz der Krankheit habe sie nie aufgehört, sich um ihr Aussehen zu kümmern.
Alles zu überschminken ist nicht das Ziel
Pina G. (48) findet, dass ihr Gesicht durch die vielen Medikamente „aufgeplustert“aussieht und hat sich deshalb zum Kurs angemeldet. „Super für mich, die von Schminken null Ahnung hat“, sagt sie und lacht.
Der Kurs hat das Motto „look good, feel better“(deutsch: schau gut aus, fühl dich besser) und wird von DKMS Life, einer Tochter der Deutschen Knochenmark Spenderdatei (DKMS), angeboten und finanziert. Nach Angaben von DKMS Life erkranken jedes Jahr über 230 000 Frauen und Mädchen in Deutschland an Krebs. Könnte man theoretisch alle Spuren der Krankheit überschminken? Klar, sagt die Kursleiterin Ellen Geißler. „Aber das ist nicht Sinn der Sache.“
Geißler ist im Hauptberuf Krankenschwester in Bad Saulgau und gibt nebenher Schminkseminare an den Krankenhäusern in Sigmaringen und Ravensburg. Gefragt, warum sie das macht, zieht sie einen laminierten Zeitungsartikel aus der „Schwäbischen Zeitung“von 1999 aus der Tasche, den sie fürs Interview mitgebracht hat. Es ist ein Bericht über einen Schminkkurs für krebskranke Frauen am Krankenhaus in Reutlingen mit dem Titel „Make-up tut auch der Seele gut“. Ihre Erfahrungen in einer Vielzahl an Kursen, die sie selbst gegeben hat, unterstreicht für sie diese Aussage.
Der Leiter des Zentrums für Krebserkrankte in Ravensburg, Gerhard Fischer, kennt die Begleiterscheinungen einer Krebserkrankung und der Therapie sehr gut. Die Patientinnen müssen zusätzlich zur Diagnose auch mit den äußerlichen Veränderungen klarkommen, sagt er. Bei Brustkrebspatientinnen sei häufig eine Brust abgenommen worden. „Das Selbstbild als Frau ist ganz erheblich belastet“, sagt Fischer. „In der Situation hilft so ein Kurs auf vielfältige Art und Weise.“
Das Angebot bringe betroffene Frauen miteinander in Kontakt. Fischer erinnert sich an eine Veranstaltung: „Ich hab die Tür noch nicht ganz zugehabt, da hörte ich schon Lachen und Gickeln.“Die Schminkkurse seien die mit Abstand lustigsten Veranstaltungen, die die Krebsberatungsstelle anbiete.
Kopfbedeckung für Abschlussball gesucht
Als Arzt beobachte er, dass die Frauen neuen Lebensmut gewinnen und gestärkt aus dem Kurs herauskommen, weil sie wieder Normalität spürten. „Welche Effekte das auf den Krankheitsverlauf hat, darüber kann nur spekuliert werden“, sagt der Mediziner. Allerdings ist er überzeugt: Wer psychisch stabil sei, gehe mit mehr Kraft in eine Chemotherapie als jemand, dem es ohnehin schon sehr schlecht gehe.
Die Gesichter der Frauen sind in den Kosmetikspiegeln zu sehen, die für sie vorbereitet wurden. Sie malen die fehlenden Augenbrauen einfach auf, legen Rouge auf die blassen Wangen und lernen, wie sie Lippen möglichst füllig und frisch aussehen lassen. Die Teilnehmerinnen sind dankbar für die Tipps und tauschen sich auch untereinander über verschiedene Kopfbedeckungen aus – auch solche, die für anstehende Abschlussbälle der Töchter zweier Patientinnen geeignet sind. Perücken finden die meisten von ihnen unangenehm. Sie haben das Gefühl, dass andere Menschen besser mit der Situation umgehen können, wenn die Krankheit zum Beispiel an der Kopfbedeckung sichtbar wird.
„Das hat Spaß gemacht“, sagt Pina G., die zuvor „null Ahnung“vom Schminken hatte, nach dem Kurs. Es sei zwar toll, sich hübsch zu machen – aber für sie persönlich nicht vorrangig. „Hauptsache wieder gesund werden!“
Kontakt zur Krebsberatungsstelle Oberschwaben: Telefonnummer: 0751 / 872593, E-Mail: krebsberatung@oberschwabenklinik.de ANZEIGE