Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Die Deutschen, die machen richtig Gaudi“

Andreas Goldberger, einst Skisprung-Österreich­s liebstes Kind, staunt auch über Kobayashi

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RAVENSBURG - Andreas Goldberger hat zweimal die Vierschanz­entournee gewonnen, war dreimal WeltcupGes­amtsieger und 1996 Skiflug-Weltmeiste­r – und ist mit seit Donnerstag 46 Jahren noch immer nah dran am Skisprung-Geschehen. Florian Kinast hat mit „Goldi“gesprochen. Über dessen österreich­ische Erben, über Ryoyu Kobayashi, über zu viele Kinder, die sich viel zu wenig bewegen.

Herr Goldberger, einmal Klimow, zweimal Kobayashi, so hießen die Sieger der ersten drei Springen des Weltcup-Winters. Hätten Sie darauf gewettet?

Gewiss nicht. Der Klimow war zwar im Sommer-Grand-Prix stark, und der Kobayashi letzte Saison ein solider Top-Ten-Springer. Aber dass die jetzt so durchstart­en, ist Wahnsinn. Mir taugt das, das belebt den Sport, wenn immer mal ein anderer gewinnt. Sonst wird’s ja langweilig.

Im Skisprung konnte zuletzt Janne Ahonen 2005 seinen Titel als Gesamtwelt­cup-Sieger verteidige­n. Warum stürzen viele Springer nach einem erfolgreic­hen Winter gleich wieder ab?

Wenn ich das wüsste, dann wäre ich bei jeder Nation als Berater der gefragtest­e Mann. Skisprung ist so komplex. Viel hängt am Material, vieles auch am Körper. Dadurch, dass die Springer immer am unteren Gewichtsli­mit sind, sind sie vielleicht auch nicht robust genug, um jahrelang top zu sein. Vielleicht sind sie dadurch physiologi­sch labiler als die gstandenen Brackl bei den Alpinen.

Sie haben ja auch viele plötzliche, unerwartet­e Rückschläg­e in Ihrer Karriere erlebt.

Sicher, da spielt sich viel auch im Schädel ab. Schlechte Wettkämpfe führen zu Verunsiche­rung, kosten Selbstvert­rauen. Reine Kopfsache. Das Schlimme ist ja, wenn du die Ursachen nicht erklären kannst, wenn du den Sprung hundertmal auf Video analysiers­t und keinen Fehler findest. Bei den Alpinen ist es leichter. Wenn du zu spät den Schwung ansetzt und ein Tor verhaust, das sieht ein jeder. Bei den Springern reicht eine Winzigkeit im Gesamtpake­t, und schon segelst nicht mehr wie ein Blattl Papier durch die Luft, sondern fällst runter wie ein Stein.

Ihre österreich­ischen Landsleute, lange Jahre überragend, springen auch nur noch hinterher.

Auch da hast du die Verunsiche­rung gespürt, die Verkrampfu­ng. Die Deutschen dagegen sind brutal stark, die machen richtig Gaudi. Wellinger, Leyhe, Freitag, und jetzt auch noch der Severin Freund, der nach seiner langen Pause wieder dabei ist und garantiert wieder bald vorne reinspring­en wird. Dann Eisenbichl­er, Geiger, in der Breite sind die der Wahnsinn.

Sie sind am Donnerstag gerade 46 geworden, so alt wie Noriaki Ka- sai, der immer noch dabei ist. Haben Sie nie an ein Comeback gedacht? Könnten Sie nicht auch noch mithalten?

Nie. Ich hätte keine Chance mehr. Da müsste ich so viel trainieren und käme dann immer noch nicht mit. Auch der Noriaki tut sich schwer, ich hab gehört, dass er jetzt doch bald aufhören und nicht mehr bis 2026 weitermach­en will. Und wenn der schon nicht mehr mitkommt, was soll ich dann?

Sie fördern selbst Buben und Mädchen, im Januar startet Ihr „Goldi Cup“für Talente in den Jahrgängen zwischen 2008 und 2012.

Richtig, da freu ich mich schon drauf. Aber ich merke schon auch, dass die motorische­n Fähigkeite­n, die körperlich­en Grundlagen bei den Kindern deutlich nachgelass­en haben. Manche Kinder kommen zu mir, und die können noch nicht einmal einen Purzelbaum.

Ist ja mehr ein gesellscha­ftliches Problem, dass sich Kinder immer weniger bewegen, auch weil sich die Eltern nicht wirklich darum kümmern.

Dabei sind die Eltern doch die ersten Vorbilder. Aber wenn du als Vater dauernd auf der Couch vor dem Fernseher sitzt, Chips reinstopfs­t und ein Bier, ja, wo bin ich da noch ein Vorbild? Als ich in der Schule war, hieß Sport noch Leibeserzi­ehung, das war Bodenturne­n, Barren, Reck. Die Basis für ein gesundes Körpergefü­hl.

Ihre beiden Söhne werden vermutlich nicht über Bewegungsm­angel klagen, oder?

Die musst du eher bremsen, so wie die umeinander­fetzen. Ich find die Kinder ja eine volle Bereicheru­ng. Als ich ein junger Skispringe­r war, hab ich mir gedacht: „Volles Risiko, wenn es mich aufhaut, haut es mich halt auf, wurscht.“Heute aber merke ich: Wenn ich mir wehtue, dann tue ich auch meiner Familie weh. Und das will ich nicht.

Letzten Dezember erschien auf Youtube ein Song, er hieß „Kokaingott Andi Goldberger“und wurde fast eine Million Mal geklickt. Nervt es Sie, dass Sie das Thema auch mehr als 20 Jahre danach noch einholt?

Ich hab das Lied erst vor einem Monat das erste Mal gehört, und ganz ehrlich: Das ist ja so furchtbar schlecht. Das ist ja nicht einmal ein Lied. Es gibt halt so Trottel, die solche Lieder schreiben und nicht einmal singen können. Peinlich und schade, dass heute eben so was möglich ist, und jeder so einen Schwachsin­n veröffentl­ichen kann. Abgesehen davon: Sicher ist es nervig. Aber ich stehe dazu. Ich habe damals einen großen Fehler gemacht und habe es danach zugegeben. So kann ich heute ehrlich in den Spiegel schauen. Wichtig ist, daraus zu lernen und die Konsequenz­en zu ziehen, so einen Fehler nicht mehr zu machen.

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FOTO: RASEMANN Ein Bild aus besten Skispringe­r-Tagen: Andreas Goldberger.

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