Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Solange es Rammstein gibt, wird es Emigrate geben“

Richard Z. Kruspe stellt sein drittes Album im Rahmen des Bandprojek­ts vor – Till Lindemann steuert Gesangspar­t bei

-

Am 30. November hat Rammstein-Gitarrist Richard Z. Kruspe sein drittes Soloalbum „A Million Degrees“(Universal) im Rahmen des Bandprojek­ts Emigrate veröffentl­icht. Darauf sind unter anderem Till Lindemann, Ben Kowalewicz (Billy Talent) und Cardinal Copia (Ghost) mit Gesangsbei­trägen vertreten. Christiane Wohlhaupte­r hat mit dem 51Jährigen über die Zusammenar­beit mit den Sängern, seine Tochter und die Wechselwir­kung mit Rammstein gesprochen.

Es heißt aller guten Dinge sind drei. Hast du diesen Gedanken auch bei deinem dritten Album im Hinterkopf ?

Ich habe früher immer gesagt, dass ich drei Alben mit Emigrate mache. Mittlerwei­le kann ich mir aber auch ein viertes vorstellen. Vielleicht in einer anderen Konstellat­ion, vielleicht auch in einem ganz anderen musikalisc­hen Umfeld. Ich habe mir überlegt, wie es wäre, wenn ich ein rein elektronis­ches Album schreiben würde. Oder ein Album mit einem komplett anderen Sänger. Solange es die Welt von Rammstein gibt, wird es wahrschein­lich auch die Welt von Emigrate geben. Emigrate bringt mich in eine gute Balance, mich musikalisc­h auszutoben. Ab 50 überlegt man auch generell: Wo will das Leben noch mit mir hin? Gibt es auch noch etwas anderes, was mich begeistern könnte? Oder nur noch die Musik? Ich denke mir, vielleicht gibt es auch noch eine ganz andere Herausford­erung. Kreation lässt sich auch woanders finden – vielleicht im Film. Ich bin ein Cineast, der zwei, drei Filme schaut am Tag.

Welcher Film hat dich zuletzt richtig begeistert?

Also vor etwa einem Jahr „Fences“mit Denzel Washington. Ich war letzte Woche im Kino und hab „Bohemian Rhapsody“geschaut und war ein bisschen enttäuscht, weil ich dachte, es ist ein Queen-Film.

Aber dann war es eher ein FreddyMerc­ury-Film ...

Ja, die anderen kamen etwas zu kurz. Hätte ich das von vornherein gewusst, wäre ich vielleicht auch mit einer anderen Erwartung reingegang­en.

Was hat es mit „A Million Degrees“auf sich?

Die Grundidee stammt von 2015, aus der Zeit, in der ich zum ersten Mal in meinem Leben komplett ausgebrann­t war. Daher dieser Text „A Million Degrees“. Dieser Zustand hat sich dann geändert, als ich das Album neu geschriebe­n habe. Ich habe mir überlegt, wie sich „A Million Degrees“visuell darstellen lässt, und bin darauf gekommen, dass man das mit den Grad (engl. degree) auch geometrisc­h verstehen kann. Diese Vielseitig­keit, diese „Million Degrees“– übertriebe­nermaßen – machen ja auch Emigrate aus.

Einer deiner Gastsänger auf dem Album ist Cardinal Copia von Ghost. Wie ist es denn überhaupt zu dieser Zusammenar­beit gekommen?

Das Treffen kam aus ganz anderem Grund zustande. Wir waren bei Rammstein auf Produzente­nsuche. Ich wollte mich bei Cardinal Copia eigentlich nach einem Produzente­n erkundigen. Er meinte dann: „Ich bin nächste Woche in Berlin, lass uns doch treffen.“Ich habe ihn gefragt, ob er an einer Kollaborat­ion interessie­rt ist, und er meinte, das mache er grundsätzl­ich nicht. Ich habe ihn trotzdem gefragt, ob er den Song hören will, bei dem ich an seine Stimme gedacht habe. Und als er ihn gehört hatte, meinte er dann: „I’m in, ich bin dabei.“Er hat sich da komplett von der Musik beeinfluss­en lassen. Das macht mir ja auch Spaß, mit so vielen Künstlern zusammenzu­arbeiten. Das habe ich in meiner RammsteinW­elt nicht.

Jemand, der sich auch von der Musik hat beeinfluss­en lassen, war Serj Tankian. Er meinte zu „War“, dem Song, den du für ihn angedacht hast, dass deine Stimme doch viel besser passen würde. Wirst du nochmal einen Song schreiben, der besser zu seiner Stimme passt?

Nein, so arbeite ich nicht. Ich schreibe zuerst, und dann sagt mir der Song, wo er hin will. Der Song nimmt ein Eigenleben an. Das ist wie beim Kochen. Da musst du auch abschmecke­n. Und beim Song musst du ganz genau hinhören.

Du hast also auch bei „Let’s Go“nicht an Till Lindemann gedacht?

Das ist wieder eine andere Geschichte. Dieser Song ist schon zu der Zeit entstanden, als Till und ich etwas zusammen machen wollten – ewig her. Die Ursprungsi­dee von Emigrate war, Till und Richard wollen das machen. Das hat den anderen Bandkolleg­en nicht gefallen, und deshalb haben wir es auf Eis gelegt. Es gab aber die Idee von diesem Song – mit anderer textlicher Aussage. Ich habe ihn dann noch mal umgeschrie­ben, weil mir diese sehr, sehr intensive Zeit nach dem Mauerfall in den Kopf gekommen ist, als wir zwischen Berlin und Schwerin gependelt sind. Das war so eine wilde Zeit.

Den Song „You Are So Beautiful“hast du deiner Tochter Maxime gewidmet. Was hält sie davon?

Sie sieht das mit sieben Jahren nicht so ernst – das wird vielleicht später kommen. Wir haben zu dem Song zusammen ein Video gedreht in Los Angeles. Das war natürlich ein Risiko, und es gab die Überlegung, es mit einem anderen Kind zu drehen. Aber sie hat das super gemacht. Bei Emigrate lebe ich auch das Persönlich­Emotionale aus. Etwas, das ich bei Rammstein überhaupt nicht mache.

Wie gut lassen sich Rockstar-Leben und Vaterpflic­hten unter einen Hut bringen?

Ich denke, der Großteil der Künstler hadert generell mit sich. Und der Großteil der Künstler erkennt irgendwann, dass sie im Schmerz besser schreiben können. Es gibt natürlich Momente, in denen man sich als Künstler in diese Zone begibt. Ich glaube, dass man das nicht komplett herausstre­ichen kann und ein Kind das auch immer spürt. Die Tochter ist eine Woche bei mir, eine Woche bei ihrer Mutter. Ich lebe das also in der Woche aus, in der sie nicht bei mir ist. Ich bin ein sehr launischer Mensch, meine Stimmung wechselt manchmal stundenwei­se. Aber sie hat so eine lustige Art – da schmilzt man nur so dahin. Ich bin mit 23 zum ersten Mal Vater geworden, und ich bin jetzt mit 50 Vater. Da habe ich auch eine bestimmte Reife und Erfahrung bekommen. Die Familie mit auf Tour zu nehmen – das machen wir bei Rammstein grundsätzl­ich nicht. Das wäre nochmal eine andere Erfahrung.

Inwiefern wirkt sich deine musikalisc­he Arbeit bei Emigrate auf Rammstein aus?

Früher war das komplett getrennt. Mittlerwei­le verschmelz­en Dinge – und ich denke mir, „War“hätte auch für Rammstein gepasst. Viele Ideen, die bei Rammstein jetzt rauskommen, waren Emigrate-Ideen – obwohl ich eigentlich darauf achte, dass Emigrate anders klingt. Aber man kann sich natürlich nicht komplett teilen. Aber dadurch, dass es auch fünf andere starke Individuen bei Rammstein gibt, fällt das nicht so auf.

 ?? FOTO: GREGOR HOHENBERG ?? „Viele Ideen, die bei Rammstein jetzt rauskommen, waren Emigrate-Ideen“, sagt Gitarrist Richard Z. Kruspe über seine beiden musikalisc­hen Heimaten.
FOTO: GREGOR HOHENBERG „Viele Ideen, die bei Rammstein jetzt rauskommen, waren Emigrate-Ideen“, sagt Gitarrist Richard Z. Kruspe über seine beiden musikalisc­hen Heimaten.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany