Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

So handeln Autofahrer nach einem Unfall richtig

Nicht immer muss die Polizei gerufen werden – Warnung vor einem Schuldeing­eständnis

- Von Claudius Lüder

Nach einem Unfall sind viele unsicher, wie sie vorgehen sollen. Die Polizei rufen, die Sache selbst regeln, sofort die Versicheru­ng informiere­n, Schmerzens­geld fordern? So handeln Autofahrer richtig.

Auf Deutschlan­ds Straßen sind immer mehr Autos unterwegs, und immer öfter kracht es auch. Laut Statistisc­hem Bundesamt waren 2017 bereits 57,6 Millionen Autos gemeldet, und die Zahl der polizeilic­h erfassten Unfälle stieg auf gut 2,6 Millionen, rund 58 000 mehr als im Vorjahr. Statistisc­h gesehen hat die Polizei damit alle zwölf Sekunden einen Verkehrsun­fall aufgenomme­n. Allerdings geben die Zahlen keine Auskunft darüber, in wie vielen Fällen die Polizei gar nicht hätte ausrücken müssen. Denn wirklich notwendig ist die Präsenz der Ordnungshü­ter nicht immer.

„Wenn niemand verletzt wurde und der Schaden überschaub­ar ist, benötigt man in der Regel keine Polizei“, sagt Mathias Zunk vom Gesamtverb­and der Deutschen Versicheru­ngswirtsch­aft (GDV). Wenn hingegen ganz offensicht­lich Alkohol oder Drogen im Spiel seien, es Verletzte gebe oder der Unfallherg­ang streitig sei, sollte die 110 angerufen werden.

Straße möglichst schnell räumen

Zu den Fehlern, die Beteiligte beim Absetzen des Notrufs begehen, zählt das unbeabsich­tigte Unterschla­gen wichtiger Informatio­nen, sagt Gerrit Reichel vom Automobil-Club Verkehr (ACV). „Zunächst sollten Unfallbete­iligte der Notrufzent­rale den genauen Ort und die Anzahl der beteiligte­n Personen mitteilen und dann Informatio­nen darüber, ob jemand verletzt ist.“

Ist die Sachlage eindeutig, muss die Fahrbahn möglichst schnell geräumt werden, damit der Verkehr fließen kann. „Bei Bagatellun­fällen gibt es keinen Grund, die Straße zu blockieren, bis die Polizei eintrifft. Wer sich daran nicht hält, muss sogar mit einer Geldbuße rechnen“, sagt Tobias Goldkamp, Fachanwalt für Verkehrsre­cht. Zuvor jedoch gilt es, Fotos zu machen, die den Unfall gut aus verschiede­nen Perspektiv­en dokumentie­ren. Hilfreich außerdem laut Zunk: die Positionen der Fahrzeuge mit Kreide zu umreißen, bevor sie weggefahre­n werden. „Das erleichter­t möglicherw­eise die anschließe­nde Erstellung des Unfallprot­okolls.“

In dieses Protokoll gehören die Kennzeiche­n der beteiligte­n Fahrzeuge sowie die Namen und Adressen der Fahrer. Am besten eigne sich dafür der europäisch­e Unfallberi­cht, der bei nahezu allen Versicheru­ngen und Automobilc­lubs erhältlich sei und herunterge­laden werden könne, so Zunk. Auch eine Skizze und die Schilderun­g des Geschehene­n sollten im Protokoll nicht fehlen.

Ein Schuldeing­eständnis hat nichts in diesem Schriftstü­ck verloren. „Wer am Ende für welchen Schaden aufkommt, hängt nicht nur vom Sachverhal­t, also vom Unfallherg­ang ab, sondern auch von seiner rechtliche­n Bewertung“, erklärt Goldkamp. Manchmal stelle sich im Nachhinein durch ein Gutachten heraus, dass der Unfall sich anders ereignet hat, als es die Beteiligte­n in dem Moment wahrnahmen.

Zeugen helfen bei Rekonstruk­tion

Auch die Versicheru­ngsdaten seien nicht entscheide­nd für den Bericht, da diese auch später über das Kennzeiche­n ermittelt werden könnten. Wichtige Details wie Beschädigu­ngen oder die Endpositio­nen der Fahrzeuge hingegen ließen sich später nicht mehr ohne Weiteres nachvollzi­ehen, so der Jurist. Wenn möglich sollten auch Zeugen benannt werden. Das helfe, den Unfallherg­ang besser zu rekonstrui­eren.

Wer später einen Gutachter zur Bewertung des Schadens bestellt, hängt von der Schuldfrag­e ab. „Wer selbst den Unfall verursacht hat und kaskoversi­chert ist, bekommt von seiner Versicheru­ng einen Gutachter oder eine bestimmte Werkstatt für die Bewertung und Reparatur des Schadens benannt“, erklärt Bernd Grüninger von der Sachverstä­ndigenorga­nisation Dekra. Der Geschädigt­e hingegen habe grundsätzl­ich Anspruch auf einen Gutachter seiner Wahl. Das von einem Sachverstä­ndigen erstellte Gutachten dient als Grundlage für die Regulierun­g des Schadens. Ist dann von einer „fiktiven Abrechnung“die Rede, entscheide­t sich der Geschädigt­e dazu, sich die voraussich­tlichen Reparaturk­osten – abzüglich der Mehrwertst­euer – auf Basis des Gutachtens ausbezahle­n zu lassen, erklärt der Dekra-Experte. Im Anschluss kann er überlegen, ob, wo und in welchem Umfang er den Schaden wirklich reparieren lassen möchte. Um nicht auf mögliche Ansprüche zu verzichten, sollte ein Autofahrer sich nicht vorschnell mit der gegnerisch­en Versicheru­ng auseinande­rsetzen. Im Zweifel ist ein Anwalt hilfreich.

1000 Euro Schmerzens­geld

Wer bei einem Unfall verletzt wird, kann von der gegnerisch­en Haftpflich­tversicher­ung auch Schmerzens­geld fordern. „Bei einem Halswirbel­schleudert­rauma, also dem klassische­n steifen Nacken, liegt dies je nach Ausprägung zwischen 250 und 1000 Euro“, sagt Goldkamp. Bei schweren Verkehrsun­fällen übernehmen die Haftpflich­tversicher­ungen auch mehr. „Neben einem Schmerzens­geld oder Verdiensta­usfall können Schwerverl­etzte auch Leistungen für sogenannte vermehrte Bedürfniss­e erhalten, worunter etwa auch der behinderte­ngerechte Umbau eines Hauses oder Fahrzeugs fällt“, erklärt Zunk. Ziel sei es, dass das Leben nach dem Unfall dem früheren so nahe wie möglich komme.

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Nach einem Unfall mit Verletzten sollte die Polizei gerufen werden.
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FOTOS: DPA Fotos vom Unfallort sind hilfreich für die Dokumentat­ion.

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