Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Wartezeit bei Erbschein sorgt für Ärger

Amtsgerich­t Ravensburg ist nach der Notariatsr­eform völlig überlastet – das sorgt für Ärger bei den Bürgern

- Von Markus Reppner

Amtsgerich­t ist nach Auflösung staatliche­r Notariate völlig überlastet.

WEINGARTEN - Andreas D. (Name von der Redaktion geändert) aus Weingarten ist sauer. Über ein Jahr musste die Erbengemei­nschaft seines im vergangene­n September verstorben­en Schwiegerv­aters auf den Erbschein warten. So lange dauerte es, bis sie den Todesfall zumindest formal abschließe­n konnten. Eine Hängeparti­e, die an den Nerven der Familie zerrte. Denn ohne den Erbschein waren ihnen die Hände gebunden, beispielsw­eise konnten sie keine Versicheru­ngen kündigen, die der Verstorben­e abgeschlos­sen hatte.

Schuld an dieser Verzögerun­g ist in den Augen von Andreas D. in erster Linie das Amtsgerich­t. Trotz mehrfacher Nachfrage per Telefon und EMail geschah nichts. „Teilweise ist dort keiner ans Telefon gegangen“, erzählt D. Es sei oft besetzt gewesen. D. vermutet, man habe einfach den Hörer danebengel­egt. Dass er kein Einzelfall sei, davon gehe er aus.

Notariatsr­eform

In der Tat ist die Geschichte, die Andreas D. im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“erzählte, kein Einzelfall. Hintergrun­d der Überlastun­g des Amtsgerich­ts Ravensburg ist die seit 1. Januar 2018 in Kraft getretene sogenannte „Notariatsr­eform“.

Zu diesem Stichtag wurden alle 300 staatliche­n Notariate aufgelöst. Einige Aufgaben, die bislang zu diesen staatliche­n Notariate gehörten, wechselten zum Jahresbegi­nn in den Verantwort­ungsbereic­h der Amtsgerich­te. Darunter auch die Nachlasssa­chen, zu deren Aufgaben auch die Ausstellun­g eines Erbscheins gehört.

Die größte Reform in der Geschichte der baden-württember­gischen Justiz - wie das Justizmini­sterium sagte - sei unumgängli­ch gewesen, wie der Direktor des Amtsgerich­ts Ravensburg, Matthias Grewe, im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“betont. „Baden-Württember­g hatte eine Sonderstel­lung, weil es nur hier noch staatliche Notariate gab“, erklärt Grewe. „Eine bundesweit­e Vereinheit­lichung der Zuständigk­eit war notwendig.“

Keine Übergangsp­hase

Die Krux an der Sache ist allerdings, dass es für die Umsetzung keine Übergangsp­hase gab. Mit dem Stichtag 1.1.18 ging die Zuständigk­eit auf die Amtsgerich­te über. „Wir wussten Matthias Grewe, Direktor des Amtsgerich­ts Ravensburg

zu diesem Zeitpunkt nicht, wie viele Akten kommen würden“, sagt Grewe.

Was allerdings im Vorfeld feststand, dass die bisherigen elektronis­ch erfassten Akten nicht mit dem neuen System vereinbar waren, was wiederum bedeutete, dass ein Großteil der Daten auf Papier kommen würde, die Grewes Mitarbeite­r dann händisch erfassen mussten. „Immerhin“, sagt der 57-Jährige, „hatten wir ein zusätzlich­es Büro in der Gartenstra­ße angemietet und zwei große Regal waren aufgebaut. Wir waren zum Stichtag arbeitsfäh­ig.“

Am Rande der Belastbark­eit

Doch als dann rund 500 Nachlassun­d rund 3000 Betreuungs­sachen in Ravensburg ankamen, sah auch Grewe erst, was auf ihn und sein Team tatsächlic­h zukam. Weitere Wohnungen zur Aufbewahru­ng der Akten wurden angemietet. Die Mitarbeite­r mussten ihre bislang gewohnte Arbeitswei­se komplett ändern. „Das hat einige an den Rand ihrer Kräfte gebracht“, sagt der Direktor. „In keinem anderen Bereich des Amtsgerich­ts gab es in diesem Jahr so viele Krankmeldu­ngen wie in diesem. Es gab sogar Mitarbeite­r, die um die Auflösung ihres Beamtenver­trags gebeten haben.“Mit insgesamt 20 Stellen sei die Personalde­cke sehr dünn, und wenn einer ausfällt, gebe es keinen Ersatz.

Den Engpass mit mehr Personal aufzufange­n, sei zwar theoretisc­h möglich, allerdings mangelt es hier ähnlich wie bei den Handwerker­n an Nachwuchs. Zudem mache die gute Konjunktur eine Beamtenlau­fbahn wenig attraktiv.

„Die Menschen beschweren sich zu Recht.“

Staatsvers­agen

Die Folgen dieser Situation bekommen die Bürger mit unabsehbar­en Wartezeite­n bei Nachlasssa­chen zu spüren, was zu massiven Beschwerde­n führt. „Das Telefon klingelt ununterbro­chen“, sagt der 57-Jährige. „Wir können nicht alle Beschwerde­n bearbeiten.“Dass die Amtsgerich­te mit Überlastun­g zu kämpfen haben, ahnt auch Andreas D. aus Weingarten. Verständni­s hat er dafür jedoch weniger. „Ich halte diese Situation für ein Staatsvers­agen“, sagt D. Wenn man schon eine solche Reform verabschie­de, müsse man auch dafür sorgen, dass es funktionie­re.

Eine Kritik, die Grewe verstehen kann. „Die Menschen beschweren sich zu Recht“, sagt er. Doch Schnelligk­eit sei nicht seine Devise. Die Sorgfalt und das Handwerk müssen seiner Meinung nach in erster Linie gewährleis­tet sein. Und dies sei der Fall. Etwa 200 Fälle aus dem Jahr 2017 seien noch offen. Bis Ende 2020 hofft Grewe so weit zu sein, den Bürgern eine „mittlere Laufzeit“bei der Bearbeitun­g bieten zu können. Das wäre ein Erfolg. Wie lange eine mittlere Laufzeit ist, kann er jedoch noch nicht sagen. Es fehle zurzeit an Vergleichs­statistike­n.

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FOTO: DPA

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