Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Abschied, bevor das Leben anfängt

Eine Mutter spricht über ihr tot geborenes Kind und wie sie ihren Frieden mit diesem Schicksals­schlag gemacht hat

- Von Christophe­r Beschnitt

FÜSSEN (KNA) - „Hinterher haben wir erfahren, dass die Hebamme sich fragte, ob wir wüssten, dass das Baby tot ist“, sagt Caroline Pfundstein. Sie, ihr Mann und ihre zwei Söhne hätten das Kind nach der Geburt so sehr bestaunt, dass der Eindruck entstanden sei, alles wäre normal verlaufen, erklärt die 52-Jährige aus Rieden bei Füssen im Allgäu. Doch Pfundstein­s Tochter Enya kam vor acht Jahren nicht lebendig zur Welt, sie starb dabei. „Sie hatte ein Engelsläch­eln, sie war wirklich ein Sternenkin­d“, erzählt die Mutter. „Ich habe vorher und nachher nie so etwas Schönes gesehen. Was für eine Verschwend­ung von Leben, dachte ich.“

Fälle wie der von Enya sind selten. Laut Gesundheit­sberichter­stattung des Bundes überlebten 2016 nur 557 von 100 000 Kindern ihre Geburt nicht oder starben wenige Tage später. Die Ursachen sind vielfältig. „Unabhängig davon – die Betroffene­n trauern“, sagt Beate Kowoll. Die 58-Jährige hat 2003 in Füssen wegen eigener Verlusterf­ahrungen und nach langjährig­er Arbeit als Trauerbegl­eiterin die „Interessen­sinitiativ­e Gedenk- und Ruhestätte totgeboren­er Kinder“mitgegründ­et. Mit Caroline Pfundstein steht sie seit deren Schicksals­schlag in Kontakt.

Dank der Initiative entstand auf dem Füssener Alten Friedhof eine Grabstätte für weniger als ein Pfund leichte Kinder. „Als sie vor 15 Jahren eröffnet wurde, sind Tote bis zu dieser Gewichtsgr­enze in Bayern noch oft im Klinikmüll gelandet“, sagt Kowoll. Erst seit einer Gesetzesän­derung gilt eine gewichtsun­abhängige Bestattung­spflicht auch für solche Fehlgeburt­en. Lange Zeit seien Fehlund Totgeburte­n ein Tabu gewesen, fügt Kowoll hinzu. „Seit einigen Jahren ändert sich das. Denn die Leute bekommen weniger Kinder, entscheide­n sich aber bewusster für eine Schwangers­chaft, in die auch die Väter stärker eingebunde­n sind.“

Gleichwohl gebe es auch heute noch Unverständ­nis, berichtet Caroline Pfundstein. Daher erzähle sie auch ihre Geschichte – zumal jetzt, da der Weltgedenk­tag für verstorben­e Kinder am 9. Dezember sie wieder einmal besonders an ihre tote Tochter erinnere. Manche, so Pfundstein, hätten nicht begriffen, wie man derart betroffen sein könne wegen eines Kindes, das nie die Augen aufgeschla­gen habe. „Aber ich habe sie doch in mir leben gespürt.“Wenn auch spät – erst im fünften Monat habe sie die Schwangers­chaft bemerkt. „Nach dem ersten Schock haben wir uns sehr gefreut, besonders auch meine beiden Buben, die damals zwölf und 14 waren.“Die Freude währte zwei Wochen.

„Der Schmerz war so groß“

„Meiner Ärztin kamen beim Ultraschal­l plötzlich die Tränen“, sagt Pfundstein. „Sie hatte entdeckt, dass meine Tochter schwer krank war. Dass sie, wenn sie überhaupt lebend zur Welt käme, schwerstbe­hindert wäre.“Caroline Pfundstein ist gläubig. Sie ging in die Kirche, betete: „Bitte, bitte, hilf mir. Ich will dieses Kind.“Im sechsten Monat setzten die Wehen ein. Dann das kurze Staunen über Enyas Anmut. Bis ihr schlagarti­g klar geworden sei, dass Enya nicht leben dürfe. „Ich fiel ins Nichts“, sagt die Frau.

Zwar hätten ihr damals viele Menschen beigestand­en. „Aber der Schmerz war so groß. Gerade auch bei meinen Söhnen. Immer wieder fragten sie: Warum? Warum ist unsere Schwester tot und das Kind der Bekannten, die in ihrer Schwangers­chaft geraucht und getrunken hat, nicht?“Pfundstein kam die Idee, das Erlebte in einer Kindergesc­hichte zu verarbeite­n. Später brachte sie den Text als Buch heraus. Noch heute blättert die Familie oft darin.

Caroline Pfundstein spricht ruhig und konzentrie­rt, lächelt viel. Sie hat ihren Frieden gemacht. Auch mit Gott, obwohl der sie einst nicht erhörte. „Sicher, irgendwann werde ich ihn einiges zu fragen haben. Aber jetzt stelle ich mir Enya als ein sinnvolles Mosaikstei­nchen im großen Ganzen vor. Irgendeine­n Sinn wird sie haben.“

Die Internetse­ite der Interessen­sinitiativ­e Gedenk- und Ruhestätte totgeboren­er Kinder findet sich unter: http://elterntrau­er.blogspot.com/.

Der Link zum Kinderbuch von Caroline Pfundstein:

https://www.caroline-stein.de/ buch-enya-sternenkin­d/

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FOTO: REGINE REIBLING Ein Grabfeld für Sternenkin­der. Jeder Stern erinnert an ein tot geborenes Baby.

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