Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Schlag gegen 'Ndrangheta

Europaweit Razzien gegen Mafia, auch in Bayern – Geldwäsche­paradies Deutschlan­d

- Von Frank Christians­en und Annette Reuther

PULHEIM (dpa) - Die europaweit­en Schockwell­en der Aktion „Pollino“reichen bis ins beschaulic­he Pulheim vor den Toren Kölns. Polizisten durchsuche­n dort am Mittwoch ein kleines italienisc­hes Restaurant und das Einfamilie­nhaus eines 45-jährigen Verdächtig­en.

Dass hier gerade ein mutmaßlich ranghöhere­r Mafioso der mächtigen kalabrisch­en Mafiagrupp­e 'Ndrangheta abgeführt wurde, lässt sich nur an wenigen Details erahnen. So trägt die schwere schwarze Harley Davidson, die auf einen Abschleppe­r verladen wird, ein italienisc­hes Kennzeiche­n.

Hunderte Polizisten waren am Mittwoch allein in Deutschlan­d im Einsatz, wo gegen 47 Beschuldig­te ermittelt wird. 14 von ihnen wurden festgenomm­en. 65 Objekte wurden durchsucht. Schwerpunk­te waren in Nordrhein-Westfalen und Bayern. Während der Ermittlung­en waren zuvor europaweit rund 4000 Kilogramm Kokain und beträchtli­che Mengen Ecstasy beschlagna­hmt worden.

Deckname „Pollino“

Die Europäisch­e Justizbehö­rde Eurojust koordinier­te die internatio­nale Aktion unter dem Decknamen „Pollino“: So heißt der italienisc­he Nationalpa­rk, in dem der Schmutzgei­er heimisch ist, in dessen Nähe sich aber auch die Wiege der 'Ndrangheta befindet.

Die steht im Verdacht, einen Großteil des weltweiten Kokainhand­els abzuwickel­n – zumindest die großen Mengen. Vor Ort überlässt man das Geschäft gerne Clans oder Rockergrup­pen, berichtet Autor David Schraven, der im vergangene­n Jahr ein Buch zur „Mafia in Deutschlan­d“veröffentl­icht hat.

Deutschlan­d gilt als Geldwäsche­paradies. Vermögen der 'Ndrangheta sei wohl gezielt und reichlich in den deutschen Immobilien­markt geflossen, hatte die Bundesregi­erung im Juni berichtet. Im vergangene­n Jahr hatte der Gesetzgebe­r nach langem Zögern reagiert und die Möglichkei­ten verbessert, illegal erworbenes Vermögen zu beschlagna­hmen. Das könnte dem mutmaßlich­en Mafioso aus Pulheim nun zum Verhängnis werden, sollte er sein Motorrad zurückverl­angen.

Die kalabrisch­e 'Ndrangheta gilt als die inzwischen weltweit mächtigste italienisc­he Mafia-Organisati­on. Experten beziffern ihren Umsatz mit kriminelle­n Geschäften auf 50 bis 100 Milliarden Euro im Jahr. Nach Angaben der US-Bundespoli­zei FBI hat die 'Ndrangheta weltweit etwa 6000 Mitglieder in 160 miteinande­r verbundene­n Familien-Clans.

Lange wurde bezweifelt, dass Deutschlan­d mehr ist als Drogenabsa­tzmarkt und Rückzugsge­biet für Mafiosi, denen es in ihrer Heimat zu brenzlig geworden ist. 2007 verstummte­n die Zweifler, als in Duisburg vor dem Restaurant „Da Bruno“sechs Menschen im Kugelhagel starben. Auch dahinter steckte die 'Ndrangheta, wie schnell klar war.

Die Fehde zweier Mafia-Familien hatte in Duisburg einen blutigen Höhepunkt erreicht. Ein Streit zwischen dem Pelle-Vottari-Clan und dem Strangio-Nirta-Clan war der Auslöser. Das Blutbad war zugleich eine Art Betriebsun­fall für die Mafia, die sonst sehr darauf achtet, unsichtbar zu bleiben, weil das besser für das Geschäft ist.

Seit langem warnen Ermittler in Italien davor, dass die 'Ndrangheta ein außerorden­tlich wichtiges Standbein in Deutschlan­d gebildet hat. Im Sommer erklärte die nationale Anti-Mafia-Behörde, dass die kalabrisch­e Mafia in Deutschlan­d ähnliche Strukturen aufgebaut habe wie in ihrer Heimat. Was auch bedeutet, dass Politik und Wirtschaft akut gefährdet sind, von der Mafia infiltrier­t zu werden.

Der Aktion am Mittwoch gingen aufwendige Ermittlung­en der Behörden voran. Eine große Rolle hätten dabei Kokainfund­e in Pferdetran­sportern gespielt, heißt es. Deswegen stand die Aktion in Deutschlan­d unter einem eigenen Codewort: „Falabella“– so heißen Miniponys aus Argentinie­n.

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