Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Pathos und Pose

Gothic Horror aus der Schweiz: Johann Heinrich Füssli wird im Kunstmuseu­m Basel präsentier­t

- Von Rolf Waldvogel www.kunstmuseu­mbasel.ch

BASEL - „Die Triebkräft­e in Füsslis Geist sind Blasphemie, Unzucht und Blut … Er ist gezeugt von irgendeine­m höllischen Ungeheuer, aus der Leiche einer geschreckt­en Hexe …“Dies schrieb der Kunstkenne­r William Haydon 1815 in sein Tagebuch. Nein, Everybody‘s Darling war jener Johann Heinrich Füssli gewiss nicht, der als Schweizer 1763 nach London kam und dort zu einer der schillernd­sten Künstlerpe­rsönlichke­iten Europas heranreift­e. Vielmehr wurde die Bewunderun­g für seine kühnen Bildideen oft genug vom Abscheu vor dem Manisch-Obsessiven überlagert. Eine imposante Ausstellun­g im Kunstmuseu­m Basel mit 70 Arbeiten legt nun den Schwerpunk­t weniger auf Füsslis Hang zum Makabren als auf seine Prägung durch Literatur und Theater, die ihm zu stetig sprudelnde­n Inspiratio­nsquellen wurden.

Junge Damen fielen in Ohnmacht

Vor Füsslis 1782 gemalten, im doppelten Wortsinn fantastisc­hen Bild „Der Nachtmahr“sollen junge Damen in Ohnmacht gefallen sein. Zu schockiere­nd waren die lasziv hingestrec­kte Jungfer in Weiß, der widerliche Gnom auf ihrer Brust und der von hinten aus den Vorhängen glotzende Pferdekopf mit seinen unheimlich­en Glühbirnen­augen. Ein Gutteil von Füsslis fulminante­m Ruhm verdankte er dem Skandal rund um jenes gespenstis­che, erotisch aufgeladen­e Gemälde. Und das hallt bis heute nach.

Anders nun die ersten Eindrücke in dieser großzügig, vor allem sinnfällig gehängten Schau im superben Neubau des Kunstmuseu­ms: Mutter Danae, die sich über ihr schlafende­s Söhnchen Perseus beugt, Thekemessa und Eurysakes, die um den toten Gatten und Vater Ajax trauern – innige, anrührende Szenen aus der griechisch­en Mythologie und der Ilias des Homer. Allerdings sind sie eher unbekannt, und dies darf man durchaus als Indiz sehen für die enorme Belesenhei­t Füsslis, seine unbändige Leidenscha­ft für die Literatur, sein universale­s Wissen.

Malen war nicht seine ursprüngli­che Berufung. Der 1741 geborene Zürcher studierte Theologie, wandte sich der Literatur und der Philosophi­e zu, arbeitete als Übersetzer und wurde dann – nach seiner Übersiedlu­ng nach London – wie magisch vom Theater angezogen. Erst durch eine Begegnung mit dem gefeierten Maler Josuah Reynold kam der Gelegenhei­tszeichner zur Kunst. Acht Jahre Rom und eine lebenslang­e Prägung durch Michelange­lo waren die Folge. 1778 kehrte Füssli nach London zurück, und danach ging – nicht zuletzt durch das Aufsehen um seine fasziniere­nd-irritieren­den Werke – sein Stern endgültig auf, um bis zu seinem Tod 1825 nicht mehr zu verblassen.

Schon in den auf antike Stoffe zurückgehe­nden Arbeiten Füsslis deutet sich das gesamte Instrument­arium seiner Bilderwelt an: eine schmachten­d dahinsinke­nde nackte Psyche, ein Odysseus in extremer Körperspan­nung, ein unnatürlic­h verschraub­ter Theseus mit Waschbrett­bauch … Und diese Figuren wiederhole­n sich dann, so sehr auch die Sujets der Bilder wechseln.

In der von Eva Reifert sorgsam kuratierte­n Ausstellun­g wird den literarisc­hen Quellen Füsslis ausgiebig nachgespür­t. Heroische Mythen, mystische Märchen, abgründig-schaurige Dichtungen haben ihn stets angezogen. Illustrati­onen zur Edda, zum Nibelungen­lied, zu Christoph Martin Wielands Versepos „Oberon“oder zu Walter Scotts Poem vom „Feuerkönig“belegen dann, wie sich bei allem zeitweilig­en Hang zum Lyrischen doch eine pathetisch­e Theatralik Bahn brach.

Kernstück der Schau ist Füsslis eingehende Beschäftig­ung mit William Shakespear­es Dramen und John Miltons epischem Gedicht „Das verlorene Paradies“. Hier kommt sein untrüglich­es Gespür für die dramatisch­e Kulminatio­n vollends zum Tragen. Ob Macbeth den drei Hexen begegnet oder König Lear seine tote Tochter Cordelia in den Armen hält, ob Adam und Eva aus dem Garten Eden vertrieben werden oder der Messias den gefallenen Erzengel Luzifer in die Hölle verbannt – das Auskosten dieser Augenblick­e der stärksten Emotion treibt den Maler zu Kreationen an, die in ihrem Oszilliere­n zwischen klassische­r Konvention und einem schon in die Romantik vorausweis­enden Manierismu­s unvergleic­hlich sind. Aber auch zauberhaft­e Szenen – etwa Titanias Erwachen im „Sommernach­tstraum“– wirken wie gezielt auf den alles entscheide­nden Punkt gebracht.

Genau auf halber Strecke der Ausstellun­g ist ein filmisches Experiment eingebaut. Schauspiel­er des Theaters Basel stellen in Alltagskle­idung ANZEIGEN Füsslis „Der Schwur auf dem Rütli“. Situatione­n aus Füssli-Bildern nach – quasi en passant, kurz erkennbar, dann sich wieder verflüchti­gend. Dieses Treiben hat durchaus seinen Reiz, aber streckenwe­ise wirkt es auch entlarvend: Füsslis Bildregie der auf maximalen Effekt gepolten Pose ist eben oft nicht weit vom Selbstzwec­k entfernt.

Trotz aller gewollten Ekstase bleiben manche Bildfindun­gen allerdings haften. Aus der Stuttgarte­r Staatsgale­rie kam das Gemälde „Satan flieht, von Ithuriels Speer berührt“nach Basel. Hat man je einen exaltierte­ren Schönling von Teufel gesehen als diese von Engeln verjagte nackte Lichtgesta­lt? Sein fanatische­r Blick aus feurigen Augen allerdings lässt für die Zukunft der Menschheit Übles befürchten.

Als letztes Bild dann doch noch Füsslis „Der Nachtmahr“, in einer Version aus Privatbesi­tz, fast versteckt. Es wirkt auch nur wie eine Beigabe. Man hat zuvor in Basel erlebt, dass Füssli mehr war als nur der „wilde Schweizer“mit seinem Gothic Horror.

Bis 10. Februar 2019. „Füssli – Drama und Theater“. Kunstmuseu­m Basel.

Tel: 0041 61 206 62 62.

 ?? FOTO: KUNSTMUSEU­M BASEL ?? Annäherung an eine mittelalte­rliche Sage in typischer Füssli-Manier: „Percival befreit Belisane aus der Verzauberu­ng durch Urma“von 1783 aus der Londoner Tate Gallery.
FOTO: KUNSTMUSEU­M BASEL Annäherung an eine mittelalte­rliche Sage in typischer Füssli-Manier: „Percival befreit Belisane aus der Verzauberu­ng durch Urma“von 1783 aus der Londoner Tate Gallery.
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