Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Behinderte Menschen kommen erst nach und nach an
Warum sich im Kup-Gründerzentrum nur selten Menschen mit Beeinträchtigung und ihre Türnachbarn begegnen
RAVENSBURG - Im Juli sind die ersten sieben Menschen mit Behinderung ins Kup-Gründerzentrum in der Nordstadt eingezogen. Erst nach und nach füllen sich auch die Büros in dem Gebäude; eben hat ein Yogazentrum seine Räume bezogen. Es wird also noch eine Weile dauern, ehe Menschen mit und ohne Beeinträchtigung mehr miteinander zu tun haben.
Stiftung Liebenau und Prisma Zentrum für Standort und Regionalentwicklung GmbH aus Friedrichshafen haben sich zusammengefunden, um das innovative Konzept für 12 Millionen Euro gemeinsam zu realisieren: Im 5000 Quadratmeter großen Kup gibt es nämlich sowohl einen Förderbereich mit Tagesstruktur für insgesamt 30 Menschen mit Unterstützungsbedarf als auch Büroflächen für IT-Entwickler, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Rechtsanwälte oder Architekten.
Mehr Selbstbestimmung muss geübt werden
Neu ist nicht nur der Mix, sondern auch, dass behinderte Menschen nicht mehr in ihrem eigenen Quartier abgeschottet irgendwo auf der grünen Wiese untergebracht sind, sondern mittendrin in den Städten. Dieses Leben jenseits des rundum geschützten Nestes will ebenso eingeübt werden wie das Mehr an Selbstbestimmung: „Wir müssen an dem neuen Ort hier erst einmal für Orientierung und Sicherheit für unsere Leute sorgen“, erläutert Teamleiterin Sabrina Kunter. Schritt für Schritt bekommen die Menschen vermittelt, wie sie trotz ihrer teilweise gravierenden geistigen und körperlichen Beeinträchtigungen selbstbestimmt agieren und mitgestalten können und dürfen. Da wird jetzt zum Beispiel in Eigenregie die Wäsche gewaschen, es wird gemeinsam gekocht, oder man stellt zusammen Seifen her. Auch dabei, wie die kühl und funktional gehaltenen Räume in ein behaglicheres Tages-Zuhause verwandelt werden, dürfen die Menschen mit Behinderung mitreden, die von 8.30 bis 16 Uhr im KuBiQu – was für Kunst und Bildung im Quartier steht – zugange sind. Am Ende sollen die Wände der Bewegungs-, Kunst- und Lernräume sowie der Rückzugszimmer in jeweils anderen Farben erstrahlen. Nach und nach wird auch geübt, in der Innenstadt einkaufen oder raus auf den blauen Platz zu gehen. „Unsere Leute sollen ein Teil ihrer Umwelt werden“, gibt Michaela Fischer vom Fachdienst für Kultur und Vernetzung die Richtung vor. Später sind auch Lesungen oder etwa Atem- und Achtsamkeitsübungen im Foyer vorstellbar, bei denen Behinderte und Nicht-Behinderte gleichermaßen mitmachen.
Keiner soll überfordert werden
Kontakt nach außen wird bislang eher zaghaft geknüpft, wenn etwa ein „Beschäftigter“, wie Kunter die behinderten Menschen nennt, am Fenster sitzt und freudestrahlend die Autos begutachtet, die auf den Parkplatz fahren. Oder wenn eine andere Beschäftigte durch den Hinterhof-Garten begeistert in die gegenüberliegenden Büros guckt, winkt und „Hallo“ruft. Dass alle Menschen mit Einschränkungen künftig im Kup-Restaurant essen werden, sehen die Betreuer eher nicht – will man doch weder die eigenen Leute noch die Selbstständigen aus den benachbarten Büros überfordern, wie Markus Harant von der Stiftung Liebenau betont. Stattdessen überlegen die Betreuer, wie man möglichst angenehme Begegnungen zwischen den unterschiedlichen Gebäudenutzern arrangieren kann – ohne dass jemand abgeschreckt oder überfordert wird.