Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Am ÖPNV scheiden sich die Geister
Wangener Gemeinderat diskutiert über ein zukunftsträchtiges Konzept zum Stadtbus
WANGEN - Wenn eine Diskussion die Dauer des Sachvortrags zuvor um ein Mehrfaches übersteigt, dann besteht für ein Thema offensichtlich jede Menge Redebedarf. So geschehen in der jüngsten Gemeinderatssitzung beim „integrierten ÖPNV-Konzept mit Beachtung des Stadtverkehrs in Wangen“. Einig war man sich zumindest, dass der hiesige Öffentliche Personennahverkehr stark verbessert werden muss. Am Weg zu einem zukunftsträchtigen System schieden sich jedoch die Geister.
Wie vielschichtig die Probleme mit dem derzeitigen ÖPNV-System sind und gleichzeitig wie begrenzt die Möglichkeiten der Stadt Wangen, zeigte sich bereits bei der Bürgerfragestunde zu Beginn der Ratssitzung. Hier schilderte Barbara Hölzel die Schwierigkeiten auf der neuen Regionalbuslinie 7547 zwischen Wangen und Tettnang, die seit dem Fahrplanwechsel am 9. Dezember laut Verkehrsverbund Bodensee-Oberschwaben werktags „deutlich verbessert und vertaktet“ist. Die Mutter dreier Schulkinder aus Primisweiler berichtete, dass Gymnasiasten nach der achten und zehnten Stunde nun eine halbe Stunde statt wie früher nur rund 15 Minuten auf den Bus warten müssten. Der Bus um kurz nach 18 Uhr sei für die Haslacher sogar ganz gestrichen worden. Ebenso der Regio-Bus nach der achten Stunde vom P14 zum Bahnhof, weswegen die Realschüler nun zum ZOB laufen müssten. Von der Änderung betroffen sei auch die Martinstorschule, deren Schüler nun an der Haltestelle eine knappe dreiviertel Stunde beaufsichtigt werden müssten. Eine Nachmittagsverbindung für Musikschüler zwischen Primisweiler und Wangen sei ebenfalls weggefallen. „Das ist keine Verbesserung, sondern eine Verschlechterung“, schloss Hölzel. Woraufhin Wangens Hauptamtsleiter Hermann Weinschenk nur sagen konnte: „Wir sind zu keinem Punkt von der RAB als Konzessionsträger gehört worden. Die Stadt hat hier keine direkte Einflussmöglichkeit.“Die Bürgerfragestunde wurde so quasi zu einer Steilvorlage für die spätere Diskussion.
Davor gaben Ulrich Noßwitz und Philipp Runkel vom Aalener Büro Brenner-Bernard einen Sachstandsbericht zum geplanten ÖPNV-Konzept. Sie stellten dabei auch einen Liniennetzentwurf für den Stadtverkehr vor, mit dem der Öffentliche Personennahverkehr in Wangen auf eine neue, nachhaltige und umweltschonende Basis gestellt werden soll (siehe Extra-Kasten). Um die Konzeption detailliert auszuarbeiten, seien jedoch zunächst Abstimmungen mit allen Beteiligten, insbesondere dem Verkehrsverbund Bodensee-Oberschwaben (Bodo) erforderlich. Weil das Konzept anschließend erneut beraten und danach europaweit ausgeschrieben werden müsse, strebt die Verwaltung einen Start erst im Jahr 2022 an und will deshalb den bestehenden und Ende 2019 auslaufenden Vertrag mit dem aktuellen Betreiber Omnibusverkehr Wangen (OMV) um zwei Jahre verlängern. Auch weil man dadurch nach der Elektrifizierung der Allgäubahn eine Neuordnung des ÖPNV „aus einem Guss“erreichen würde.
„Wir müssen einen Stadtverkehr kriegen, der für alle interessant ist und nicht nur ein Anhängsel des Schülerverkehrs“, eröffnete Tilman Schauwecker (GOL) die Diskussion. „Nur dann ist es ein zukunftsweisendes Konzept.“Alle Ortschaften müssten integriert und der ÖPNV zudem mit der Schiene klar und am besten halbstündlich vernetzt sein. Über den Liniennetzentwurf solle eine Fachausschuss mit Bürgerbeteiligung entscheiden, die vorgeschlagene Vertragsverlängerung war für Schauwecker deshalb in Ordnung.
„Komplexes Thema“
Dagegen konnte Gerhard Lang (SPD) ein neues ÖPNV-Konzept erst ab 2022 nicht nachvollziehen, vor allem weil die Schwachpunkte des Systems seit Jahren bekannt seien. Er sah eine europaweite Ausschreibung Ende 2019 als realistisch an und stand einer unveränderten Verlängerung des bestehenden Vertrags um zwei Jahre skeptisch gegenüber. Mit dem vorgelegten Liniennetzentwurf als Basis für Nachbearbeitungen hatte der SPD-Rat weniger Probleme und nannte hierzu einige Rahmenbedingungen. So sei die Abstimmung des Stadtbusses mit der Bahn eine wichtige Vorgabe für das ÖPNV-Konzept. Hier müssten auch die Wünsche der Stadt nach einem Fernzughalt eine Rolle spielen. Außerdem müsse der Umstieg zu Regionalbuslinien über einen Takt geschehen. Dass die Bahnunterführung B32 im Konzept berücksichtigt wird, hielt Lang für illusorisch. Schließlich forderte er einen Halbstunden-Takt in der Hauptverkehrszeit und einen Stundentakt bis 20 Uhr, letzteren auch hinaus in die Ortschaften.
Von einem „komplexen Thema“sprach danach Hans-Jörg Leonhardt (CDU). Eine Entscheidung über den Liniennetzplan sollen deshalb der künftige Mobilitätsbeauftragte der Stadt und Fachleute in einem Ausschuss treffen. „Wir müssen eng mit dem Kreis zusammenarbeiten und brauchen hier Zeit“, sagte Leonhardt. Er fragte aber gleichzeitig: „Ist eine Verlängerung nur um ein Jahr ebenso möglich?“
Auch Reinhold Meindl (Freie Wähler) drückte aufs Tempo und forderte eine Ausschreibung für Anfang 2020. Er verlangte, dass die Schulzeiten in der neuen Taktung und Linienführung als Grundvoraussetzung festgeschrieben werden und der Stadtbus auf die Ortschaften erweitert wird. Erst nach der Ausarbeitung eines Wangener Takts sollten Gespräche mit Bodo, Bahn und Busbetreibern geführt werden. Vor einer detaillierten Ausarbeitung des Netzplans sollten jedoch als erstes die Kosten ermittelt werden. Meindl sprach von einem aktuellen Abmangel für die beiden Stadtbusse von 250 000 Euro, nannte für ein System mit vier Bussen die Summe von „600 000 Euro plus x“und für zusätzliche Erweiterungen mindestens 850 000 Euro.
„Für die Qualität des Systems ist am Ende entscheidend, wie viel Geld wir bereit sind reinzustecken“, sagte OB Michael Lang. Und plädierte für die Vertragsverlängerung um zwei Jahre. Sie mache Sinn, weil der Stadtverkehr vom Standort des ZOB abhänge, weil die Anzahl der bereitgestellten Züge klarer und schließlich weil die Zukunftsfähigkeit leichter ab 2021 erkennbar sei: „Wir brauchen für die Abstimmungsprozesse einfach Zeit.“
Mohr fordert „Ende der Debatte“
Dass die Diskussion bis dahin nicht nur lang, sondern für einige wohl auch nervenaufreibend war, machte der (kurz danach abschlägig beschiedene) Antrag von Walter Mohr (CDU) auf „Ende der Debatte“deutlich. Nachdem Hans-Jörg Leonhardt und Alwin Burth (SPD)anschließend deutlich machten, dass den Bürgern drei weitere Jahre ohne Verbesserungen im örtlichen ÖPNV nicht vermittelbar seien, schlug OB Lang vor, den Beschlussvorschlag dergestalt zu ergänzen, dass mit den Konzessionären ab 2020 provisorische Verbesserungen angestrebt und diese noch im kommenden Jahr vorgeschlagen werden. Hierfür gab es am Ende genauso ein einstimmiges Votum, wie für den vorliegenden und auszuarbeitenden Liniennetzentwurf. Bei fünf Gegenstimmen aus SPD (4) und CDU (1) ging auch die zweijährige Vertragsverlängerung mit dem Busbetreiber deutlich durch.