Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Probesitzen auf Agamemnons Thron
Mykene und die griechische Vorgeschichte im Badischen Landesmuseum
KARLSRUHE - Baden-Württemberg hat sein Sternchen-Thema: frühes Griechenland, Bronzezeit. Das Staatstheater Stuttgart führt die „Orestie“als Boulevardstück auf und zeigt, wie’s bei Agamemnon unterm Sofa ausschaut: traumatisch, posttraumatisch. Das Badische Landesmuseum bietet noch mehr. Hier kann man auf Agamemnons Thron probesitzen.
Die Ausstellung „Mykene – Die sagenhafte Welt des Agamemnon“im Karlsruher Schloss wendet sich dem Mittelpunkt der ersten Hochkultur auf dem europäischen Festland zu: Mykene gilt als Heimat des Agamemnon. Der war aber schon für die klassischen Tragödiendichter eine ferne, mythische Heldenfigur. Als Ausgräber Heinrich Schliemann 1876 in Mykene ein Gräberfeld öffnete, telegrafierte er, kaum, dass er der ersten mumifizierten Leiche die Goldmaske abzogen hatte, so habe er sich immer schon Agamemnon vorgestellt. Tatsächlich ist sein Grabfund 400 Jahre älter als Agamemnon, wenn der je gelebt hat.
Schliemann grub drauflos
Das passt ins Bild des ehrgeizigen Schliemann, der bis heute Deutschlands populärster Ausgräber geblieben ist. Die Ausstellung startet mit der Grabungsgeschichte. Der erste Raum, in Sepia-Tönen alter Fotografien gehalten, zeigt Schliemann in Mykene. Auch eine Nachbildung des Löwentores ist zu sehen, so, wie es seit der Antike aus der Erde herausragte. Der römische Autor Pausanias hat diesen Eindruck beschrieben. Als Schliemann mit Pausanias in der Rocktasche anrückte, sah es noch genauso aus.
Schon damals redeten die griechischen Behörden bei Ausgrabungen mit. So hatte Schliemann einen Archäologen dabei, der sich die Haare raufte angesichts von Tempo und Technik, mit denen der Deutsche loslegte. Der hat Kollegen Panagiotis Stamatakis in seiner Publikation zu Mykene mit Missachtung gestraft. Allerdings war Schliemann lernfähig. Dass die Schichten der Grabungshorizonte, die er eilig durchwühlte, nicht nur Abraum, sondern Datierungshilfen waren, hat ihm dann doch eingeleuchtet. Und so werden Schliemanns nachfolgende Grabung in Tiryns als wissenschaftliche Leistung anerkannt. Auch an den späteren Mykene-Ausgräber Christos Tsountas erinnert der Eingangsraum. Der hat nicht nur den Übersichtsplan von Palast und Stadtanlage entworfen, sondern auch das Bild der Epoche. Er gilt als „Vater der Vorgeschichte“.
Angesichts der Qualität der Funde, die in Karlsruhe präsentiert werden, muss man sich hartnäckig ins Gedächtnis rufen, dass das alles aus der späten Bronzezeit stammt, also von 1600 bis 1070 vor Christus. Der Handel florierte damals aufs Schönste, als wollten die ersten Griechen unsere naive Vorstellung von Globalisierung veräppeln. Eine große Übersichtskarte zeigt ihr Handelsnetz: Was von wo herangekarrt wurde und wo man Exporte gefunden hat (in Thüringen).
Dass die Ausstellung aus dem Vollen schöpft, ist einem Abkommen Baden-Württembergs mit dem griechischen Kulturministerium zu verdanken. Außer dem Nationalmuseum in Athen haben 20 regionale Museen zugeliefert. Die Kuratoren Katarina Horst und Bernhard Steinmann zeichnen nach, wie die Grabungsfunde das Bild der Epoche bestimmen. So sind neben Mykene auch jüngste Funde aus anderen Regionen zu sehen. Zum Beispiel das Grab eines Kriegers aus Pylos, im Südwesten des Peloponnes gelegen, das 2015 geöffnet wurde. Die Beigaben werden erstmals gezeigt: eine Goldkette, Siegelringe aus Gold und ein Achat, ebenfalls ein Siegel. Die Gravur ist so fein, dass man sie nicht einmal sieht, wenn man den Stein vor der Nase hat. Erst die Vergrößerung lässt die filigrane Kriegerszene erkennen.
Was wir über die frühen Griechen wissen, ist auf die Paläste beschränkt. Es gab sie im südlichen Griechenland ebenso wie auf Kreta, dort freilich mit raffinierterer Ausstattung. Nach dem Plan solcher Paläste ist der zentrale Repräsentationsraum rekonstruiert, den jede Anlage hatte. Und der ist nun seinerseits das knallbunte Zentrum der Ausstellung. Auf dem Thronsessel können sich die Besucher nun als Agamemnon fühlen.
Die Paläste waren wirtschaftliches, politisches, religiöses und gesellschaftliches Zentrum. Und so gibt es massenhaft Teller und Tischgeschirr. Eiweiß-Versorgung war in der Antike ein religiöser Akt. Das Fleisch kam von den Opfertieren. Der Souflaki-Grill steht im Thronsaal bereit.
Ansonsten weiß man wenig, wie die Gesellschaft dieser Zeit aussah. Vitrinen zeigen die Buchhaltung der Import-Export-Geschäfte, auf Wandgemälden sieht man Wachtruppen mit Dolchen, Schwertern, Streitwagen. Goldschmuck und Körperpflege standen hoch im Kurs. Frauen wurden auf einer Liste hilfreicher Geister geführt. Eine höhergestellte Frau wird genannt: Ihr wurden Schuhe geliefert. Wichtiger Hinweis für unsere Anzeigenkunden Aufgrund der Weihnachtsfeiertage ändern sich die Anzeigenschlusszeiten für folgende Ausgaben:
Das große Rätsel dieser Kultur ist ihr Untergang: das Thema im letzten Raum. Um 1200 werden die Paläste geplündert und angezündet, vorsätzlich und systematisch. Lehmbauten brennen nicht einfach weg. Unglück und Erdbeben scheiden als Erklärung aus. In Pylos hatte man noch Wachtruppen an die Küste abkommandiert, vergeblich, auch der Palast von Pylos brannte. Was in Griechenland geschah, wiederholte sich an der Küste Syriens. Das Reich der Hethiter in Anatolien verschwand. Zwei Pharaonen rühmen sich, „Seevölker“abgewehrt zu haben, die anderswo alles vernichtet hätten.
Die Prähistoriker, die sich anlässlich der Ausstellung zu einem Kongress trafen, suchen komplexere Erklärungen. Am liebsten wäre ihnen so etwas wie Klimawandel mit Bauernaufstand. Einen Klimawandel gab es, aber erst nach den Bränden. Ein Forscher hat jetzt eine Pollenarmut in der Ägäis um 1200 entdeckt. Gut, dass unsere Landesregierung das Insektensterben wichtig nimmt.
Ausstellung „Mykene“, Badisches Landesmuseum, Schloss Karlsruhe, bis 2. Juni täglich außer montags 10-18 Uhr geöffnet. Katalog bei Philipp von Zabern,
395 Seiten, 39,95 Euro.
Für die Ausgabe am Donnerstag, 27. Dezember 2018 Neuer Anzeigenschluss: Freitag, 21. Dezember 2018, 10 Uhr
Für die Ausgabe am Mittwoch, 2. Januar 2019
Neuer Anzeigenschluss: Freitag, 28. Dezember 2018, 10 Uhr