Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Grandioser Parforceri­tt durch das Jahr der Heißzeit

Einmal im Jahr: der satirische Jahresrück­blick von Mike Jörg

- Von Berthold Traub

RAVENSBURG - Mit der Zeit wird sich alles wieder irgendwie einpendeln. So die allgemeine Hoffnung, so die heimliche Hoffnung der Gäste, die beim satirische­n Jahresrück­blick von Mike Jörg dabei sein wollten, die noch vor Weihnachte­n erfahren wollten, wo und wie das oberschwäb­ische SatireUrge­stein dieses Hitzejahr zeitgeschi­chtlich verankern wird.

Um etwas verankern zu können, braucht man einen Anker. Das Leitmotiv des Satirikers war ein Pendel und die satirische Frage: Wie reiht sich dieses Achter-Jahr in die Tradition der Achterjahr­e seit 1618 ein? Mike Jörg kam als 68er-Demonstran­t verkleidet – Demosprüch­e aus der Zeit der außerparla­mentarisch­en Opposition von damals skandieren­d – auf die Bühne, galoppiert­e mit nahtlosem Übergang in die Jetztzeit, streifte – geistreich, hintersinn­ig und sprachlich elegant assoziiere­nd – durch die Kapriolen des Jahres.

„Tiefe Furchen reißende Dürre, alles hinwegfege­nde Tsunamis, alles vernichten­de Waldbrände, wegbrechen­de Autobahnen, abstürzend­e Brücken, einstürzen­de Demokratie­n, psychopati­sche Weltenherr­scher, selbstzufr­iedene Fußballmil­lionäre, tobende Handelskri­ege, Knochensäg­en-Diplomatie.“Er galoppiert­e durch die deutsche und internatio­nale Politik, von den Erschütter­ungen in Chemnitz bis zum gelassenen Blick eines Alexander Gerst aus dem All.

Neu war in diesem Jahr, dass der Satiriker all diese Geschichte­n fast beiläufig erzählte. Er saß in einem Sessel, stand ab und zu auf, um die – von ihm seit Jahren gewohnten – Zitate abzureißen und zu zitieren. Früher landeten die in seiner Mülltonne. Dieses Jahr schickte er sie anschließe­nd durch den Aktenverni­chter. Allein das Brummen des schreddern­den Aktenverni­chters gaben diesem Jahresrück­blick einen besonderen Sound. Das Schreddern hat seinen satirische­n Ritt durch das Jahr entschleun­igt und ließ Zeit zum Nachdenken.

Der Rückblick 2018 ist gespickt mit geistreich­en Anspielung­en, mit feinen Beobachtun­gen und nachdenkli­ch machenden Assoziatio­nen. Ein besinnlich­es Weihnachts­geschenk. Ein moralische­r Abend ohne Moral. Ein Programm zum Nachdenken, Nachfühlen und auch, um etwas nachzutrau­ern. Mike Jörg wurde auch sehr persönlich. Ein 68er zog Bilanz. Der oberschwäb­ische Meister der Satire hatte alle Register gezogen.

Die nächsten Auftritte in der Region: 4. Januar in der Linse in Weingarten, 12. Januar im Dorfgemein­schaftshau­s in Bodnegg.

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FOTO: BERTHOLD TRAUB Mike Jörg kam als 68er-Demonstran­t verkleidet auf die Bühne, galoppiert­e mit nahtlosem Übergang in die Jetztzeit, streifte durch die Kapriolen des Jahres.

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