Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Mit Bäckertüten gegen Telefonbetrüger
So kommt das Thema zu Hause auf den Tisch – Bäcker verzichten auf Eigenwerbung
RAVENSBURG - Die Zahl der Versuche, in denen Telefonbetrüger vor allem ältere Menschen mit dem „Enkeltrick“oder dem „falschen Polizisten“übers Ohr hauen, hat sich 2018 innerhalb eines Jahres verdreifacht. Der Schaden liegt allein im Landkreis Ravensburg in Millionenhöhe. Die Dunkelziffer ist riesig. „Mir wird so etwas doch nicht passieren – wer auf so etwas reinfällt, ist selbst schuld“, sagen die meisten zukünftigen Opfer.
Mit einer Million Bäckertüten sagt die Polizei Ravensburg den Betrügern nun den Kampf an. „Wir wollen, dass das Thema zu Hause auf den Tisch kommt – im wahrsten Sinne des Wortes. Da passt die Tüte, in die der Bäcker morgens die Brötchen packt, doch perfekt. Ältere Menschen sollen sich mit den Betrügermaschen auseinandersetzen und vorbereitet sein“, sagt Gerd Stiefel, stellvertretender Leiter des Polizeipräsidiums Konstanz, das auch für Ravensburg zuständig ist. „Vorsicht, Abzocke!“steht in großen Lettern auf den Tüten. Hinzu kommen weitere Informationen zur Aufklärung.
Unterstützt und finanziert wurde die Aufklärungskampagne von der Bürgerstiftung Kreis Ravensburg, der Bäcker-Innung, Zulieferer BÄKO und der „Schwäbischen Zeitung“. Knapp 20 000 Euro waren nötig, um die Tüten zu produzieren. Zudem verzichten die 37 Bäckereibetriebe mit ihren rund 200 Verkaufsstellen im Landkreis auf die Eigenwerbung, um die Kampagne zu unterstützen.
Profis am Telefon
Bei den Betrügern handelt es sich um professionelle Netzwerke in Osteuropa und der Türkei, erklärt Florian Suckel, der bei der Polizei Ravensburg im Referat Prävention arbeitet. „Die Telefonisten klappern mit Telefonbüchern ganze Straßenzüge ab, gehen gezielt auf klassische Namen, weil sie dort ältere Menschen erwarten – dabei sprechen sie akzentfreies Deutsch und arbeiten mit Gesprächstechniken.“Teilweise ginge es sogar so weit, dass die Betrüger Todesanzeigen recherchierten, um Menschen in labilen Lagen zu erreichen.
Stiefel ärgert besonders, dass sich die Betrüger inzwischen sogar als falsche Polizisten ausgeben: „Der größte Teil der Bevölkerung hat ein großes Vertrauen in die Polizei. Und dieses Vertrauen nutzen die Betrüger aus. Das geht uns an die Nieren.“Die Hintermänner der Netzwerke dingfest zu machen, ist schwierig. Die Bevölkerung aufzuklären und auf die Betrüger vorzubereiten, ist deutlich einfacher. Und wenn die Tricks nicht mehr funktionieren, erledigt sich das Problem von allein.
So gehen die Betrüger vor
Beim „Enkeltrick“geben sich die Betrüger als nahe Verwandte aus, die in einer Notsituation stecken. Man habe einen Unfall gehabt und benötige dringend einen großen Geldbetrag, um etwa eine Krankenhausrechnung zu bezahlen. Ein Freund würde das Geld bald abholen kommen. Dabei bitten die Betrüger immer um Stillschweigen, weil man sich für den Vorfall schäme. Noch dreister gehen die Betrüger beim sogenannten „falschen Polizisten“vor: Sie rufen an, geben vor, ein Beamter zu sein, und sagen, im betreffenden Wohngebiet seien Einbrecher unterwegs – es sei jederzeit mit einem Einbruch zu rechnen. Aus diesem Grund würde demnächst ein Zivilbeamter klingeln und alle Wertgegenstände, Schmuck und Geld mitnehmen und vor den Einbrechern in Sicherheit bringen.