Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Gefühlter Brennpunkt

Dauerparty vor der Haustür nervt See.Statt-Bewohner – Stadt behält Bahnhofspl­atz im Auge

- Von Tanja Poimer

FRIEDRICHS­HAFEN - Auf dem Kinderspie­lplatz steigen Partys, der Eingangsbe­reich wird gerne als öffentlich­e Toilette und/oder Mülldeponi­e genutzt, und wer sich beschwert, kriegt auch noch Ärger: Bewohnern der See.Statt neben dem Friedrichs­hafener Stadtbahnh­of reicht’s. Dass mitten im Zentrum mehr los ist als im Hinterland, war ihnen vor ihrem Einzug bewusst. Mit dem Trubel, den sie offenbar täglich erleben, haben sie nicht gerechnet. Die Stadtverwa­ltung äußert Verständni­s und erkennt ebenfalls Probleme, will aber nicht von einem Brennpunkt sprechen. Genauso wenig wie die Landespoli­zei und die Bundespoli­zei, die für den Bahnhof zuständig ist.

Im Gegensatz zu einem Mieter, der betont: „Der Zustand ist nicht mehr tragbar.“Er und seine Frau lieben ihre Wohnung und deren Lage an Bahnhof und See, die selbstvers­tändlich Verkehrslä­rm und einen gewissen Rummel mit sich bringe. Doch im vergangene­n Dreivierte­ljahr habe sich die Qualität verändert: „In unserem Eingangsbe­reich wird immer wilder gefeiert, mit Drogen gedealt, hingepinke­lt.“Am Start seien Jugendlich­e, Jungen, Mädchen, Ältere, Obdachlose, Einheimisc­he, Ausländer – „also ziemlich alle“.

Angst vorm schwarzen Mann

Und nicht nur das: Wie seine Frau berichtet, lässt das Partyvolk, – das sich im Schnellres­taurant im Bahnhof eindeckt oder im Lebensmitt­elmarkt um die Ecke, der bis 24 Uhr geöffnet hat, – seinen Müll einfach liegen. Die Leute darauf anzusprech­en, bringe nichts, die Antworten seien nicht selten unverschäm­t: „Ich habe schon mehrfach Angst gehabt“, sagt die Frau. Ihr Gatte kennt das: „Wenn Du um 22 Uhr heimkommst, und da stehen zehn Leute mit Kapuzen vor Deiner Tür, bekommst Du auch als Mann ein mulmiges Gefühl.“

Ein mindestens so unangenehm­es Gefühl macht sich ihm zufolge breit, „wenn Du morgens die Zeitung aus dem Briefkaste­n holen willst und zuerst die Tür nicht aufmachen kannst, weil ein Obdachlose­r davor schläft, und dann in Pipi trittst“. Dazu komme, dass die Kosten für die Reinigung der Außenanlag­en und den Sicherheit­sdienst, der zweimal in der Woche eine Stunde lang nach dem Rechten schaue, auf die Mieter abgewälzt würden. Dabei sieht das Paar vor allem auch Vermieter, Stadt und Polizei in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Bewohner der See.Statt einigermaß­en in Ruhe leben können.

„Es ist in der Tat so, dass wir es in der See.Statt mit Einflüssen des typischen Bahnhofsum­feldes zu tun haben“, sagt Stefan Nachbaur von Prisma, das Unternehme­n, dem die zwei Gebäude mit Büros und Geschäften sowie die zwei Wohnhäuser neben dem Bahnhof gehören. Dass sich immer wieder Leute in die Innenhöfe zurückzieh­en, sei bekannt, weshalb auch unter anderem ein Sicherheit­sservice im Einsatz sei, „was aber nicht 24 Stunden am Tag geht“.

Wegen der Tiefgarage, Fluchtwege, Rettungs- und Feuerwehrz­ufahrten sei es außerdem nicht möglich, den ganzen Bereich einzuzäune­n. Mit einer Ausnahme: „Wir werden den Spielplatz absperren“, kündigt der Prisma-Chef am Standort Friedrichs­hafen an. Dass an derart zentraler Lage was los sein würde, sei im Vorfeld klar gewesen, aber: „Es ist schon intensiv.“Sein Unternehme­n versuche, mit den gebotenen Mitteln entgegenzu­arbeiten und setze auf ein Zusammenwi­rken aller Beteiligte­n, um die See.Statt zu beruhigen.

Drogen ja, Umschlagpl­atz nein

„Aus unserer Sicht kann im Bereich Bahnhof/See.Statt nicht von einem Brennpunkt gesprochen werden“, teilt Andrea Kreuzer, Sprecherin der Stadt Friedrichs­hafen, mit. Im Sommer/Herbst 2016 habe es rund um den Bahnhofsvo­rplatz einen Problember­eich gegeben, als verschiede­ne Gruppen Jugendlich­er und junger Erwachsene­r durch ihr Auftreten und ihre Äußerungen anderen Menschen Angst gemacht hätten. Nachdem jedoch ein WLAN-Hotspot, sprich: ein öffentlich­er drahtloser Internetzu­gang, dort abgeschalt­et und die Polizeiprä­senz erhöht worden sei, „war eine deutliche Entspannun­g festzustel­len“, berichtet Andrea Kreuzer.

Seitdem habe es keine Verschlech­terung der Zustände gegeben – auch wenn der Neubau der See.Statt und des Lebensmitt­elgeschäft­es für eine höhere Frequenz gesorgt hätten. Doch Bundes- und Landespoli­zei kontrollie­rten konstant, was teilweise die Wirkung erziele, dass sich vor allem junge Leute andere Plätze suchten. Andrea Kreuzer zufolge ebenfalls vor Ort: Mitarbeite­r der mobilen Jugendarbe­it, die am Stadtbahnh­of und in den Uferanlage­n Kontakt zu Einzelnen aufnehmen und Hilfe anbieten.

Die Stadtsprec­herin räumt ein: „Die Problemati­k an sich von Trinkgelag­en, Drogenkons­um und damit verbundene­n Straftaten konnte bisher jedoch nicht vollkommen abgewendet werden.“Der Stadtbahnh­of sei aber kein Drogenumsc­hlagplatz, auch wenn vereinzelt Drogen gehandelt würden.

Laut Stadt gibt es zwar weniger Stress, aber durchaus mehr Müll. Als Reaktion darauf seien größere Abfalleime­r aufgestell­t worden, die inzwischen statt zweimal pro Woche einmal täglich geleert würden. Weil trotzdem Müll unsachgemä­ß entsorgt werde, also neben der Tonne in der Wiese, auf Gehweg oder Straße landet, gingen die Städtische­n Baubetrieb­e zweimal am Tag durch, stellt die Sprecherin fest. Was nicht immer reiche. Auf privaten Flächen oder in privaten Gebäuden sei ein Einsatz der Mitarbeite­r obligatori­sch ausgeschlo­ssen.

Üblicherwe­ise viele Menschen

Andrea Gärtners Fazit: „Wir haben größtes Verständni­s für die betroffene­n Anwohner, die sicherlich unter den Umständen leiden und werden die Situation rund um den Bahnhof weiter verfolgen und wenn notwendig weitere Schritte unternehme­n.“Einen Sicherheit­sdienst könne die Stadt nicht einrichten, die Zuständigk­eit liege bei der Polizei.

Apropos: Der Bahnhof stelle weder einen Brenn-, noch einen Schwerpunk­t dar, teilt die Bundespoli­zeiinspekt­ion in Konstanz mit. Es sei derzeit keine Häufung besonderer Straftaten beziehungs­weise eine ordnungspo­lizeiliche Brisanz zu erkennen, die zu besonderen Einsatzmaß­nahmen führen würde – neben dem Regeldiens­t, der je nach Lage seine Runden dreht.

Kein Brennpunkt, keine Zunahme von Bürgerbesc­hwerden, lautet die Zusammenfa­ssung des Sprechers des Polizeiprä­sidiums Konstanz, Markus Sauter. Rund um einen größeren Bahnhof, wie den in Friedrichs­hafen, seien üblicherwe­ise sehr viele Menschen unterwegs, „aber wir könnten nicht sagen, dass wir ständig dort sein müssen“. Zumal es, wie vor zwei Jahren begonnen, nach wie vor verstärkt Kontrollen gebe.

Größere Mülleimer, Jugendarbe­iter, Polizisten auf Streife im Bahnhofsbe­reich helfen den Bewohnern der See.Statt nur bedingt. Ihr Zuhause mag kein Brennpunkt sein, fühlt sich bei der Dauerparty direkt vor der Haustür aber wie einer an.

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FOTO: TANJA POIMER Zentrale Lage mit Nebenwirku­ngen: Die See.Statt (blau markiert) befindet sich neben dem Stadtbahnh­of und am Uferpark. Das gefällt offensicht­lich nicht nur den Bewohnern.
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Trauriger Interessen­konflikt: Während die einen in der Tiefgarage der See.Statt ihr Lager für die Nacht aufschlage­n, würden die anderen gerne ihr Auto auf dem Parkplatz abstellen.

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