Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Gefühlter Brennpunkt
Dauerparty vor der Haustür nervt See.Statt-Bewohner – Stadt behält Bahnhofsplatz im Auge
FRIEDRICHSHAFEN - Auf dem Kinderspielplatz steigen Partys, der Eingangsbereich wird gerne als öffentliche Toilette und/oder Mülldeponie genutzt, und wer sich beschwert, kriegt auch noch Ärger: Bewohnern der See.Statt neben dem Friedrichshafener Stadtbahnhof reicht’s. Dass mitten im Zentrum mehr los ist als im Hinterland, war ihnen vor ihrem Einzug bewusst. Mit dem Trubel, den sie offenbar täglich erleben, haben sie nicht gerechnet. Die Stadtverwaltung äußert Verständnis und erkennt ebenfalls Probleme, will aber nicht von einem Brennpunkt sprechen. Genauso wenig wie die Landespolizei und die Bundespolizei, die für den Bahnhof zuständig ist.
Im Gegensatz zu einem Mieter, der betont: „Der Zustand ist nicht mehr tragbar.“Er und seine Frau lieben ihre Wohnung und deren Lage an Bahnhof und See, die selbstverständlich Verkehrslärm und einen gewissen Rummel mit sich bringe. Doch im vergangenen Dreivierteljahr habe sich die Qualität verändert: „In unserem Eingangsbereich wird immer wilder gefeiert, mit Drogen gedealt, hingepinkelt.“Am Start seien Jugendliche, Jungen, Mädchen, Ältere, Obdachlose, Einheimische, Ausländer – „also ziemlich alle“.
Angst vorm schwarzen Mann
Und nicht nur das: Wie seine Frau berichtet, lässt das Partyvolk, – das sich im Schnellrestaurant im Bahnhof eindeckt oder im Lebensmittelmarkt um die Ecke, der bis 24 Uhr geöffnet hat, – seinen Müll einfach liegen. Die Leute darauf anzusprechen, bringe nichts, die Antworten seien nicht selten unverschämt: „Ich habe schon mehrfach Angst gehabt“, sagt die Frau. Ihr Gatte kennt das: „Wenn Du um 22 Uhr heimkommst, und da stehen zehn Leute mit Kapuzen vor Deiner Tür, bekommst Du auch als Mann ein mulmiges Gefühl.“
Ein mindestens so unangenehmes Gefühl macht sich ihm zufolge breit, „wenn Du morgens die Zeitung aus dem Briefkasten holen willst und zuerst die Tür nicht aufmachen kannst, weil ein Obdachloser davor schläft, und dann in Pipi trittst“. Dazu komme, dass die Kosten für die Reinigung der Außenanlagen und den Sicherheitsdienst, der zweimal in der Woche eine Stunde lang nach dem Rechten schaue, auf die Mieter abgewälzt würden. Dabei sieht das Paar vor allem auch Vermieter, Stadt und Polizei in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Bewohner der See.Statt einigermaßen in Ruhe leben können.
„Es ist in der Tat so, dass wir es in der See.Statt mit Einflüssen des typischen Bahnhofsumfeldes zu tun haben“, sagt Stefan Nachbaur von Prisma, das Unternehmen, dem die zwei Gebäude mit Büros und Geschäften sowie die zwei Wohnhäuser neben dem Bahnhof gehören. Dass sich immer wieder Leute in die Innenhöfe zurückziehen, sei bekannt, weshalb auch unter anderem ein Sicherheitsservice im Einsatz sei, „was aber nicht 24 Stunden am Tag geht“.
Wegen der Tiefgarage, Fluchtwege, Rettungs- und Feuerwehrzufahrten sei es außerdem nicht möglich, den ganzen Bereich einzuzäunen. Mit einer Ausnahme: „Wir werden den Spielplatz absperren“, kündigt der Prisma-Chef am Standort Friedrichshafen an. Dass an derart zentraler Lage was los sein würde, sei im Vorfeld klar gewesen, aber: „Es ist schon intensiv.“Sein Unternehmen versuche, mit den gebotenen Mitteln entgegenzuarbeiten und setze auf ein Zusammenwirken aller Beteiligten, um die See.Statt zu beruhigen.
Drogen ja, Umschlagplatz nein
„Aus unserer Sicht kann im Bereich Bahnhof/See.Statt nicht von einem Brennpunkt gesprochen werden“, teilt Andrea Kreuzer, Sprecherin der Stadt Friedrichshafen, mit. Im Sommer/Herbst 2016 habe es rund um den Bahnhofsvorplatz einen Problembereich gegeben, als verschiedene Gruppen Jugendlicher und junger Erwachsener durch ihr Auftreten und ihre Äußerungen anderen Menschen Angst gemacht hätten. Nachdem jedoch ein WLAN-Hotspot, sprich: ein öffentlicher drahtloser Internetzugang, dort abgeschaltet und die Polizeipräsenz erhöht worden sei, „war eine deutliche Entspannung festzustellen“, berichtet Andrea Kreuzer.
Seitdem habe es keine Verschlechterung der Zustände gegeben – auch wenn der Neubau der See.Statt und des Lebensmittelgeschäftes für eine höhere Frequenz gesorgt hätten. Doch Bundes- und Landespolizei kontrollierten konstant, was teilweise die Wirkung erziele, dass sich vor allem junge Leute andere Plätze suchten. Andrea Kreuzer zufolge ebenfalls vor Ort: Mitarbeiter der mobilen Jugendarbeit, die am Stadtbahnhof und in den Uferanlagen Kontakt zu Einzelnen aufnehmen und Hilfe anbieten.
Die Stadtsprecherin räumt ein: „Die Problematik an sich von Trinkgelagen, Drogenkonsum und damit verbundenen Straftaten konnte bisher jedoch nicht vollkommen abgewendet werden.“Der Stadtbahnhof sei aber kein Drogenumschlagplatz, auch wenn vereinzelt Drogen gehandelt würden.
Laut Stadt gibt es zwar weniger Stress, aber durchaus mehr Müll. Als Reaktion darauf seien größere Abfalleimer aufgestellt worden, die inzwischen statt zweimal pro Woche einmal täglich geleert würden. Weil trotzdem Müll unsachgemäß entsorgt werde, also neben der Tonne in der Wiese, auf Gehweg oder Straße landet, gingen die Städtischen Baubetriebe zweimal am Tag durch, stellt die Sprecherin fest. Was nicht immer reiche. Auf privaten Flächen oder in privaten Gebäuden sei ein Einsatz der Mitarbeiter obligatorisch ausgeschlossen.
Üblicherweise viele Menschen
Andrea Gärtners Fazit: „Wir haben größtes Verständnis für die betroffenen Anwohner, die sicherlich unter den Umständen leiden und werden die Situation rund um den Bahnhof weiter verfolgen und wenn notwendig weitere Schritte unternehmen.“Einen Sicherheitsdienst könne die Stadt nicht einrichten, die Zuständigkeit liege bei der Polizei.
Apropos: Der Bahnhof stelle weder einen Brenn-, noch einen Schwerpunkt dar, teilt die Bundespolizeiinspektion in Konstanz mit. Es sei derzeit keine Häufung besonderer Straftaten beziehungsweise eine ordnungspolizeiliche Brisanz zu erkennen, die zu besonderen Einsatzmaßnahmen führen würde – neben dem Regeldienst, der je nach Lage seine Runden dreht.
Kein Brennpunkt, keine Zunahme von Bürgerbeschwerden, lautet die Zusammenfassung des Sprechers des Polizeipräsidiums Konstanz, Markus Sauter. Rund um einen größeren Bahnhof, wie den in Friedrichshafen, seien üblicherweise sehr viele Menschen unterwegs, „aber wir könnten nicht sagen, dass wir ständig dort sein müssen“. Zumal es, wie vor zwei Jahren begonnen, nach wie vor verstärkt Kontrollen gebe.
Größere Mülleimer, Jugendarbeiter, Polizisten auf Streife im Bahnhofsbereich helfen den Bewohnern der See.Statt nur bedingt. Ihr Zuhause mag kein Brennpunkt sein, fühlt sich bei der Dauerparty direkt vor der Haustür aber wie einer an.