Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Im Norden Syriens drohen neue Konflikte
Kurdenpartei fürchtet nach dem Abzug der US-Truppen um ihre Macht
ISTANBUL - Der Beschluss von USPräsident Donald Trump könnte im vorwiegend kurdisch besiedelten Norden Syriens neue Konflikte auslösen. Vor einem US-Militärstützpunkt in der Nähe der nordsyrischen Stadt Kobane versammelten sich am Freitag daher Hunderte Demonstranten. Sie forderten mit Transparenten, die Bilder von Toten zeigten, den „Respekt“der USA für ihre Gefallenen, die in den Schlachten an der Seite der US-Streitkräfte gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“starben.
In den vergangenen Jahren hatten die syrische Kurdenpartei PYD und ihr militärischer Arm YPG ihre Partnerschaft mit den Amerikanern zum Ausbau der eigenen Macht in der Gegend namens Rojava genutzt. So entstanden Schulen, Lokalverwaltungen und andere Einrichtungen, die dem Zugriff der syrischen Zentralregierung in Damaskus entzogen sind. Die Kurdengruppen, die mit der Terrororganisation PKK eng verbunden sind, preisen ihr System der Selbstverwaltung als Modell eines harmonischen Zusammenlebens verschiedener Volksgruppen. Dagegen klagen Vertreter von Minderheiten wie Arabern, Turkmenen und Christen in der Gegend über Druck durch die PYD und Zwangsrekrutierungen für die YPG. Solange die Amerikaner in Rojava stationiert waren, hatte das keine Auswirkungen.
Türkei will Kurden zurückdrängen
Nach ihrem Abzug droht zudem der Einmarsch der Türkei, die die YPG als Terrororganisation sieht. Ankara hat die Entsendung von bis zu 24 000 Soldaten und pro-türkischen Milizionären ins Einflussgebiet der YPG angekündigt. Der Angriff soll die Kurdenmiliz von der türkischen Grenze aus rund 20 Kilometer tief in syrisches Gebiet zurückdrängen. Nach Trumps Beschluss will die Türkei „eine Weile“mit dem Angriff warten, sagte Erdogan am Freitag: „Aber das ist natürlich keine Frist ohne Ende.“
Erdogan will das Autonomiegebiet der Kurden östlich des Euphrat zerschlagen. Westlich des Stroms hat die Türkei dies mit zwei Interventionen im Jahr 2016 und im vergangenen Frühjahr bereits getan. Die Kurden werfen der Türkei vor, die Zusammensetzung der dortigen Bevölkerung durch Vertreibung von Kurden und Ansiedlung von Arabern verändern zu wollen. Ankara weist dies zurück und betont, es gehe lediglich darum, das Land den „rechtmäßigen Besitzern“zurück zu geben.
Derzeit ist nicht klar, ob, wo und wann die Türken östlich des Euphrat angreifen. Mehrere wichtige Zentren der Kurden wie Kobane liegen unmittelbar an der türkischen Grenze. Ein Spaziergang wäre der türkische Vormarsch aber nicht, sagen Experten. Die YPG, die über mehrere Zehntausend Kämpfer verfügt, ist jahrelang von den Amerikanern ausgebildet und bewaffnet worden.